DomplatzOpenAir 2024: “Liebe stirbt nie” in Magdeburg

Alles beginnt in Paris. Die Polizei und die Sängerin Christine Daeé suchen den Mann, der in den Katakomben der Pariser Oper Angst und Schrecken verbreitet hat, für Christine jedoch Mentor und mehr war. Doch von ihm bleibt nur seine Maske, ein Schuss aus einer Polizeipistole, ein Sturz vom Eiffelturm und Christines Trauer, über die sie Raoul, der Vicomte de Chagny, nur allzu gern hinweg tröstet.

© www.AndreasLander.de

Mit dieser Einstiegsszene schlägt die „Love never dies“-Inszenierung des Magdeburger DomplatzOpenAir eine Brücke zurück zum ersten Teil der Geschichte um das Phantom der Oper. Und dieser Bezug bleibt auch über die gesamte Vorstellung hinweg optisch präsent. Zum einen durch den in der hinteren Bühnenmitte platzierten, etwas aus der Form geratenen Eiffelturm, zum anderen durch ein augenscheinlich etwas in die Jahre gekommenes kleines Ruderboot namens „Desireé“ auf dem auf der rechten Vorderbühne angelegten Wassergraben.

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Insgesamt spielt das Thema Wasser eine große Rolle im Bühnenbild. Überdimensionale Wellen bilden den äußeren Rahmen der Bühne. Schließlich ist Coney Island, wo die Handlung von “Liebe stirbt nie” zehn Jahre nach den Ereignissen in der Pariser Oper spielt, eine Insel. Das Meer spielt im Stück, vor allem an dessen Ende, eine zentrale Rolle. Neben den Wellen und dem Eiffelturm sind vor allem zwei große Köpfe Blickfang. Ein großer Clownskopf mit weit geöffnetem Mund gewährt den Blick auf das Orchester. Der andere Kopf mit der Maske des Phantoms verbirgt eine Theatergarderobe. Zusammen mit einem alten Pferdekarussell sind sie die Kulisse für „Phantasma“, der Vergnügungspark, der von Mister Y aka dem Phantom betrieben wird.

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Trotz des durchaus eindrucksvollen Bühnenbildes ist eben genau dessen Aufteilung der Schwachpunkt der Inszenierung. Die Ausmaße der Magdeburger Open-Air-Bühne sind eine große Herausforderung für jede:n Bühnenbildner:in und jede:n Regisseur:in, gilt es doch, diese große Bühne zu füllen und zu bespielen und das möglichst so, dass alle Zuschauer:innen die Möglichkeit haben, das Bühnengeschehen zu verfolgen.

Und genau das gelingt hier leider nicht. Viel zu oft spielt sich das Geschehen an den Bühnenrändern ab, während die Bühnenmitte komplett leer ist.  Insgesamt ist die Bühne nicht im Gleichgewicht. Der größte Teil des Geschehens konzentriert sich auf die linke Seite.  Auf der rechten Seite dominiert das bereits erwähnte Karussell, welches jedoch vergleichsweise wenig bespielt wird und wenn, dann auch nur in den weniger relevanten Szenen. Der „Garderobenkopf“ ist so weit links platziert, dass das Publikum, welches in den unteren Reihen der rechten Tribünenseite sitzt, die dort spielenden Szenen kaum bis gar nicht verfolgen kann. Das Geschehen am Clownsmund wird durch das davor platzierte Karussell verdeckt. Und auch die entscheidende letzte Szene des Stückes, wenn sich hinter einer bis dahin völlig rätselhaften großen Zielscheibe ein beleuchteter Spiegeltunnel öffnet, ist für die Zuschauer:innen der unteren rechten Tribünenseite kaum sichtbar. Das ist schade.

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Erschwerend hinzu kommt ein nicht optimales Beleuchtungskonzept. Natürlich ist „Liebe stirbt nie“ ein düsteres Stück, jedoch ist es bei der Größe der Bühne besonders bei ringsum herrschender Dunkelheit umso wichtiger, die Akteure auf der Bühne ordentlich auszuleuchten und damit den Fokus auf sie zu lenken. Das ist an zu vielen Stellen nicht wirklich gut gelungen.

Die große Stärke des Stückes und auch der Magdeburger Inszenierung ist die Musik. Die Magdeburgische Philharmonie unter Leitung von Pawel Poplawski intoniert den Score von Andrew Lloyd Webber mit einer Wucht und Intensität, wie es nur ein großes Orchester kann. Trotzdem verschluckt die mächtige Musik nicht die Stimmen der Sängerinnen und Sänger, beides ist perfekt aufeinander abgestimmt.

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Die Cast, ergänzt vom Magdeburger Opernchor, erweckt mit ausnahmslos überzeugenden Stimmen die Musik, die Geschichte und die Figuren zum Leben. Allen voran Patrick Stanke als Mister Y. Beeindruckend präsentiert er die große Bandbreite seiner Stimme, von sehr tiefen bis zu sehr höhen Tönen meistert er die Herausforderungen der Rolle bravourös und sorgt gleich zu Beginn mit „So sehr fehlt mir dein Gesang“ für den ersten Gänsehautmoment des Abends.

Seinen Gegenspieler findet er in Raoul, dem Vicomte de Chagny, mit dem er um die Liebe Christines kämpft. Der gelernte Opernsänger Sebastian Seitz empfiehlt sich mit seiner starken Darstellung des Raoul für weitere größere Rollen im deutschen Musicalbusiness. Und so gehört die Konfrontation der beiden Männer „Wer verliert geht unter“ zu einem der Höhepunkte der Inszenierung.

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In den Frauenrollen wissen Martina Lechner als Christine, Sophia Gorgi als Meg und Manja Stein als Madame Giry zu überzeugen. Alle drei Darstellerinnen verleihen ihren Figuren eine ganz eigene Charakteristik. Martina Lechner zeigt eine introvertierte Christine, die für ihren Sohn lebt und die durch ihre Zerrissenheit zwischen den beiden um sie kämpfenden Männern nahezu völlig gelähmt scheint. Das ganze Gegenteil zu ihr ist die quirlige, extrovertierte und immer um Aufmerksamkeit buhlende Meg, deren Gefühlschaos von Freude, Trauer, Wut bis hin zum kompletten mentalen Zusammenbruch von Sophia Gorgi glaubhaft interpretiert wird. Manja Stein verkörpert die strenge, kühle, scheinbar emotionslose Madame Giry, die augenscheinlich die Fäden in der Hand hält, bis ihr eben diese am Ende entgleiten. Alle drei Darstellerinnen meistern ihre auch gesanglich anspruchsvollen Rollen mit Bravour.

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Die Rolle von Christines Sohn Gustave hat Sarah Gadinger inne. Sie steht vor der besonderen Herausforderung, als erwachsene Frau ein Kind zu verkörpern, ohne dass es merkwürdig wirkt. Dies ist ihr sehr gut gelungen und als besonderes Highlight spielt sie sogar live die Geige selbst. Nicht zu Unrecht bekommt sie am Ende besonders großen Applaus.

Ergänzt wird die Darsteller:innenriege von dem „Dreigestirn“ Thomas Wißmann (Dr. Gangle), Maike Katrin Merkel (Fräulein Fleck) und Dani Spampinato (Mr. Squelch), den Damen und Herren des Opernchores und des Balletts Magdeburg sowie von der Artistin Nina Kemptner. Der Sinn ihrer Rolle erschließt sich leider erst gegen Ende des Stückes, dann aber beeindruckt sie mit akrobatischen Leistungen an einem Trapezring über dem Karussell.

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So wie die gesanglichen Leistungen ein Genuss fürs Ohr sind, sind es die Kostüme von Tanja Liebermann fürs Auge. Dabei dominieren schwarz und weiß, wirklich bunt und glitzernd wird es nur bei den Show-Auftritten von Meg in „Phantasma“. Das unterstreicht die eher düstere Geschichte des Stücks sehr gut und vermeidet gleichzeitig, zu sehr in Kitsch abzurutschen.

Fazit: Die Magdeburger Inszenierung ist ein bildgewaltiger, aber vor allem stimmgewaltiger und emotionsgeladener Musicalabend mit einigen dramaturgischen Schwächen, aber vor allem sehr starken Darsteller:innen, der es absolut verdient hat, dass sämtliche Tickets für den kompletten Run bereits seit einigen Wochen komplett ausverkauft sind.

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Musikalische Leitung:  Paweł Popławski / Justus Tennie
Regie, Choreografie:   Pascale-Sabine Chevroton
Bühne:                      Jürgen Franz Kirner
Kostüme:                   Tanja Liebermann
Dramaturgie:              Ulrike Schröder

Phantom:                   Patrick Stanke
Christine Daaé:          Martina Lechner
Raoul:                       Sebastian Seitz
Meg Giry:                  Sophia Gorgi
Madame Giry:            Manja Stein
Gangle:                     Thomas Wißmann
Squelch:                    Dani Spampinato
Fleck:                        Maike Katrin Merkel
Gustave:                    Sarah Gadinger
Ensemble:                  Bas van der Meulen, Elisabeth Blutsch, Juliette Lapouthe,
Manuel Nobis
Artistin, Tänzerin:       Nina Kemptner

Opernchor des Theaters Magdeburg

Ballett Theater Magdeburg

Magdeburgische Philharmonie

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