Ein magischer Tanzabend: „Dracula“ am Theater Magdeburg
Vampirgeschichten üben eine ganz besondere Faszination auf viele Menschen aus. Ob Romane, Filme, Musicals oder andere theatralische Aufführungen, der Bann, in den die blutsaugenden Fabelwesen die modernen Menschen immer noch ziehen, ist ungebrochen.
Und so hieß es auch am 12. April 2019 zur zweiten Vorstellung des Tanzabends „Dracula“ am Theater Magdeburg: „House full“. Ballettdirektor und Chefchoreograf Gonzalo Galguera hatte sich den berühmten gleichnamigen Roman von „Bram Stoker“ als Vorlage für seinen ungewöhnlichen und außergewöhnlichen Tanzabend gewählt. Schon als sich der erste Vorhang hebt und die ersten Töne von Jean Sibelius‘ „Finlandia“ aus dem Orchestergraben erklingen, wird das Publikum förmlich in die dunkle Welt des Grafen Dracula hineingesogen. Das Bühnenbild inklusive Videoinstallationen, die Kostüme, die Musikauswahl – alles zusammen bildet eine perfekte Symbiose für die Kreation einer anderen, dunklen, fremden Welt. Das Bühnenbild von Darko Petrovic ist recht reduziert, aber trotzdem auf eine eigene Art so gewaltig und bedrohlich, wie man es bei diesem Stoff erwartet. Säulen an den Bühnengassen und über allem, hoch an der Decke, riesige schwarze Flügel als Symbol für einen gefallenen Engel. Als Requisiten gibt es lediglich mal einen großen Tisch, mal ein Podest oder – natürlich – ein paar Särge. Dazu Kostüme, die das Genre der „gothic romance“ ebenfalls perfekt bedienen: lange und meist schwarze, manchmal auch weiße Mäntel und Kleider, die allerdings beim Tanz an der einen oder anderen Stelle auch ein wenig hinderlich erscheinen. Ergänzt und vervollkommnet wird das Bühnenbild mit Videoinstallationen von Jacopo Castellano an der Bühnenrückwand. Dunkel ziehende Wolken, aufgewühlte Wellen, verschwommene Gesichter, Menschen, Schatten, Symbole, Andeutungen und ganze Briefe – die Installationen erzählen und verstärken die Geschichte gleichermaßen. Farbe gibt es wenig im Stück. Hier und da ein Akzent von Gold und blutrot, meist aber erinnert die Szenerie an die alten Dracula-Klassiker des Films.
Aber in erster Linie gehört die Bühne den Tänzerinnen und Tänzern. Sie stehen in dieser Inszenierung viel stärker im Blick- und Mittelpunkt als in manch anderem klassischen Handlungsballett. Ihre Figurenzeichnung sowie ihre Umsetzung der ausgesprochen anspruchsvollen Choreografien Gonzalo Galgueras sind im Focus. Allen voran Mihael Belilov in der Titelrolle des Dracula. Der aus Bulgarien stammende Gasttänzer hat trotz seines noch jungen Alters von 23 Jahren eine fast magische Bühnenpräsenz. Er dominiert das Geschehen, sobald er die Szene betritt. Ausdrucksstark und auch in den kompliziertesten Bewegungsabläufen sicher und unangestrengt wirkend verleiht Belilov dem Fürsten der Finsternis genau die geheimnisvolle Anziehungskraft, die diese Figur ausmacht. Und so lässt sich durchaus nachvollziehen, warum Mina, Lucy und auch der junge Rechtsanwalt Jonathan dieser Anziehung erliegen. Anastasia Gavrilenkova (Lucy), Grettel Morejón (Mina) und Adrián Román Ventura lassen sich vom kraft- und ausdrucksvollen Tanz Belilovs mitreißen, und so werden vor allem auch die Pas de deux zwischen Dracula und den drei Charakteren zu Höhepunkten des Abends. Komplettiert wird die starke Solistenriege von Andreas Loos als Abraham van Helsing, Raùl Pita Caballero als Kutscher und rechte Hand von Dracula und den drei Vampirinnen Julie Bruneau, Narissa Course und Antanina Maksimovich. Daneben bestechen jedoch auch die Ensembleszenen, wie die Dorfszene, die Ballszene und vor allem die Vampirszenen in Draculas Schloss durch ihre ausdrucksstarken Choreografien.
Getanzt wird zu einer musikalischen Mischung zwischen Spätromantik und englischer Musik des 20. Jahrhunderts, die Spanne reicht von Sibelius und Rachmaninow über Edward Elgar und George Lloyd bis hin zu Elizabeth Maconchy und Leon Gurvitch. Dabei ist die musikalische Dramaturgie so ausgewählt, dass sie – wie auch schon die Videoinstallationen – die vertanzte Geschichte widerspiegeln: mal voller Lebensfreude, mal melancholisch, meist aber düster, ungreifbar und bedrohlich in ihren Dissonanzen.
Als etwas unglücklich in der Gesamtschau können lediglich die Vielzahl an Umbaupausen hinter geschlossenem Vorhang gewertet werden. Damit wird der Zuschauer immer wieder aus dem eingangs erwähnten Sog, den diese Inszenierung entfaltet, gerissen. Zumal die „Choreografie““ dieser Umbaupausen nicht konsequent ist. Mal läuft während des Umbaus Musik, mal wird auf dem Vorhang ein Video gezeigt, mal ist es sowohl still als auch dunkel und man fühlt sich als Zuschauer ein bisschen allein gelassen.
Alles in allem jedoch ist „Dracula“ ein faszinierender und – wie bereits gesagt – außergewöhnlicher und ungewöhnlicher Tanzabend. Möglicherweise auch einer, der polarisiert. Freunde düsterer Geschichten und Fans des modernen Tanztheaters kommen hier voll auf ihre Kosten. Freunde des klassischen Handlungsballetts á la „Dornröschen“ oder „Nussknacker“ können ihm vielleicht nicht so viel abgewinnen.
Zu sehen ist der Tanzabend nur noch zwei Mal, am 23. Mai und am 2. Juni.
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***Weiterführende Informationen – Bitte auf die Namen klicken***
Dracula (UA)
Ballett von Gonzalo Galguera
Musikalische Leitung Svetoslav Borisov
Choreografie / Regie Gonzalo Galguera
Bühne/Kostüme Darko Petrovic
Video Jacopo Castellano
Dramaturgie Ulrike Schröder, Hannes Föst
Dracula Mihael Belilov
Jonathan Harker Adrián Román Ventura
Mina Murray Grettel Morejón
Lucy Westenra Anastasia Gavrilenkova
Professor Abraham van Helsing Andreas Loos
Kutscher Raúl Pita Caballero
Drei Vampirinnen Narissa Course, Antanina Maksimovich, Julie Bruneau
Theater Magdeburg – Dracula
Gonzalo Galguera