„Ich liebe Herausforderungen“ – Im Gespräch mit Christian Miebach

Ein schwüler Sommerabend in Magdeburg. Die zweite Woche des diesjährigen Domplatz Open Air läuft, fünf von 18 Vorstellungen von „Rebecca“ sind gespielt.

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Wir treffen uns mit Darsteller Christian Miebach an einem seiner Lieblingsplätze in der Elbestadt, im Außenbereich eines Cafés in unmittelbarer Nähe zum Bühneneingang. Man kennt ihn hier, ein Kaffee, vielleicht mit einem Stück Kuchen und der Blick auf die Türme von Deutschlands ältestem gotischen Dom sind für ihn Teil seines Rituals, mit dem er sich auf die Vorstellungen vorbereitet.

Während wir uns in die gemütlichen Sitzsäcke an dem kleinen Tisch fallen lassen, verrät Christian: „Ich habe Magdeburg schätzen gelernt“ und meint damit sowohl die Stadt als auch das Theater. Immerhin führt ihn sein „Rebecca“-Engagement nun schon zum vierten Mal in die sachsen-anhaltische Landeshauptstadt. 2016 war er zum ersten Mal hier und spielte die Vogelscheuche im „Zauberer von Oz“. Zwischen 2017 und 2019 teilte er sich dann die Rolle des Seymour im „Kleinen Horrorladen“ mit Jan Rekeszus. Im Jahr 2018 folgte sein erstes Domplatz Open Air als Petrus in „Jesus Christ Superstar“.

2022 nun also „Rebecca“ – mit zwei Jahren Verspätung ist Christian Miebach nach Magdeburg zurückgekehrt und übernimmt in der Inszenierung von Erik Petersen die Rolle des Ben. Was ihn daran reizt, immer wieder in Magdeburg zu spielen? „Hier stimmt für mich die Stückauswahl“, sagt er und betont, dass er nur an Castings teilnimmt für Stücke, die ihn wirklich interessieren. Über „Rebecca“ sagt er: „Ich dachte immer, es ist nicht wirklich mein Stück.“, sei es doch an manchen Stellen ein bisschen sehr schlagermäßig. Doch das hat sich geändert, je mehr er sich mit dem Stück, vor allem auch mit der Romanvorlage von Daphne du Maurier, und mit seiner Rolle des Ben beschäftigt hat. „Man sollte in jeder Rolle etwas finden, das man liebt“. Diesen Ratschlag hat er befolgt und sich die Figur vor allem mithilfe des Romans und weniger mit den Darstellungen in vorangegangenen Inszenierungen erschlossen. Vom Regisseur hat er dafür Freiheiten bekommen. „Das ist der große Vorteil von Stadttheater-Inszenierungen, es gibt eine richtige Dramaturgie, Konzeptionsgespräche, in denen alle Beteiligten ihre Vorstellungen darlegen können und man dann gemeinsam die Rolle kreieren kann statt sich lediglich in ein vorgegebenes Muster pressen zu müssen.“

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Und so ist „sein“ Ben auch nicht einfach ein verwilderter „Schwachsinniger“ (Zitat aus dem Roman, d.Red.), der nur Muscheln sucht und aus Angst immer die gleichen Worte sagt bzw. singt. „Ich sehe Ben vielmehr als einen Jungen mit Autismus, der zwar ängstlich gegenüber Menschen, insbesondere der verstorbenen Rebecca ist, der aber sehr genau beobachtet und viel mehr weiß als er preisgibt.“ Und mit diesem Wissen hilft er der neuen Mrs.de Winter, die er sehr schnell in sein Herz geschlossen hat, er lügt sogar für sie, indem er sein Wissen für sich behält. Christian Miebach erzählt, dass er während seines Zivildienstes mit autistischen Menschen und solchen mit Asperger-Syndrom gearbeitet hat und vieles von dem, was er dort mit ihnen erlebt hat, für die Kreation seiner Rolle nutzen konnte. „Autistische Menschen haben oft ganz besondere Talente und Begabungen, die von Ben ist das genaue Beobachten.“ Und so ist Ben auch nicht nur während seiner Auftritte laut Textbuch auf der Bühne zu finden, sondern auch in vielen anderen Szenen – als stiller Beobachter im Hintergrund oder von der Seite, im Dunkel verborgen im Bühnenbild.

Was sind die besonderen Herausforderungen eines Open Airs, fragen wir Christian. „Da gibt es einige“, gibt er lachend zu. Zunächst die vielen Ablenkungen, gerade an so einem zentralen Spielort wie dem Magdeburger Domplatz. So ist am Premierenabend mitten im Stück, eine große Kehrmaschine rund ums Gelände gefahren. Dazu Autoverkehr, bellende Hunde, ab und zu ein Hubschrauber, feiernde Menschen – all das, was eben zum Stadtleben dazu gehört. „Das ist natürlich eine ganz andere Situation als in einem abgeschlossenen Theatersaal.“ Für ihn persönlich seien zudem die In-ear Ohrhörer eine besondere Herausforderung. Wegen der Größe und Weitläufigkeit der Bühne und des Platzes bekommen die Darstellerinnen und Darsteller mit deren Hilfe die Musik des 40-köpfigen Orchesters direkt aufs Ohr. „Die muss man sich immer wieder mal neu einstellen, damit man die Musikbegleitung auch wirklich gut hört. Wenn dann mal einer verrutscht oder man einen verliert, dann wird es schwierig.“ „Aber Theater ist nun mal ein Live-Erlebnis, da muss man immer im Moment sein und im Fall des Falles auf die äußeren Einflüsse reagieren.“

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Und dann ist da natürlich das Wetter als besondere Herausforderung. „Gottseidank sind wir bisher von großen Unwettern und Vorstellungsabsagen oder –abbrüchen verschont geblieben, wir haben wirklich Glück bislang“, freut er sich. Allerdings sei die schwüle Hitze auch eine körperliche Belastung. „Es ist heiß, man ist müde, fühlt sich wie ein Luftballon, aus dem man die Luft herauslässt.“ Da sei Selfcare besonders wichtig, um auf der Bühne Abend für Abend sein Bestes geben zu können. Schließlich gilt es, an fünf Tagen pro Woche eine Vorstellung zu spielen, vier Wochen lang. „Das verlangt uns allen schon einiges ab.“ Er hat dafür sein eigenes Ritual entwickelt. Bevor es auf die Bühne geht, wird sich natürlich eingesungen und danach macht er noch eine halbe Stunde Yoga. „Das hilft mir, den Tag abzuschütteln, mich zu fokussieren, zu konzentrieren und den Atem optimal aufs Singen vorzubereiten.“

Montag und Dienstag ist spielfrei. Wirklich frei hat Christian Miebach an diesen Tagen aber auch nicht, denn dann kümmert er sich in seiner Wahlheimat Berlin um sein zweites berufliches Standbein, das Unterrichten. Er gibt seine Erfahrungen als Lehrer an der studienvorbereitenden Abteilung Musical (SVA Musical) der Musikschule Neukölln an künftige Musicaldarsteller weiter. Seit 2015 leitet er zudem den Jugendclub der Komischen Oper Berlin. „Diese Jobs geben mir ein Stück finanzielle Sicherheit, sodass ich nicht nur von Engagements abhängig bin und wählen kann, für welche Stücke ich vorsinge.“

Gemeinsam mit der Pianistin Yoonji Kim, die wie er an der Universität der Künste (UdK) Berlin studiert hat, wo sich beide auch kennenlernten, beschreitet Christian als Liedduo seit 2020 musikalische Wege abseits der Musicalwelt. „Wir sind eher in der klassischen Richtung unterwegs oder auch mit geistlicher Musik. Das ist Balsam für die Stimme.“ Wie er das meint? „Bei klassischen Stücken geht es mir – bel canto – darum, eine ausgeglichene, auf Linie gesungene Ebenmäßigkeit und den schön möglichsten Klang meiner Stimme zu erzielen. Ich muss meinen ganzen Körper zur Kompensation und Tragfähigkeit der Stimme nutzen. Das hilft dann natürlich auch für die Musicalrollen, für eine gute Höhe oder beispielsweise für die feine und helle Stimmfärbung des Ben“, erklärt er.

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Die Frage, wann eigentlich der Moment war, der in ihm die Liebe zu Musicals geweckt hat, kann Christian ganz klar beantworten: „Als ich zehn Jahre alt war, habe ich das ‚Phantom der Oper‘ gesehen, da war es um mich geschehen.“ Später, auf dem Musikinternat, hat er dann auch seine Liebe zu Opern entdeckt. „Das sind wunderschöne Melodien, einfach großartige Musik und zeitlose Themen, die kommen nie aus der Mode.“
Fragt man ihn jedoch nach den Stücken, in denen er gern unbedingt einmal spielen würde, geht er in eine ganz andere Richtung: Leonard Bernsteins „Candide“ oder etwas von Stephen Sondheim, verrät er uns. „Ich liebe Herausforderungen!“

Dann ist es Zeit für die Maske und den Soundcheck. Rebecca ruft. Wir danken Christian Miebach für das schöne Gespräch.

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