“Kuss der Spinnenfrau“, Musikalische Komödie Leipzig

Seitdem das Stammhaus der Musikalischen Komödie Leipzig renoviert wird, spielt das Theater in dem nicht weit vom MuKo-Haus entfernten Westbad. Seiner Vergangenheit als Schwimmhalle geschuldet ist hier alles ein bisschen anders als in einem „richtigen“ Theaterhaus. Schon beim Betreten wird man von Schwimmbad-typischem Chlorgeruch empfangen und im „Theatersaal“ selbst finden dann nicht nur die Bühne und die variable Bestuhlung, sondern auch die Garderobe und die Bar ihren Platz. Und auch dieser Raum atmet noch die Vergangenheit, die Decke mit vielen bunten Fischen und die riesige Runde Uhr an der Stirnseite künden von den früher hier stattgefundenen sportlichen Betätigungen.

Gaines Hall und Friedrich Rau

In dieses Ambiente stellt Regisseur Cusch Jung seine Inszenierung zu John Kanders und Fred Ebbs „Kuss der Spinnenfrau“ und setzt dabei auf das Bühnenbild von Frank Schmutzler, das auch in der Spielzeit 2020/21 in der dann neusanierten Musikalischen Komödie wieder zum Einsatz kommen soll. Für die passende Atmosphäre dreht Schmutzler die Spielrichtung im Saal um 90 Grad, kann auf diese Weise die Galerie als eine zweite Spielebene nutzbar machen und bricht gleichzeitig die recht spartanische und eintönige Gefängniszellen-Bühne etwas auf. Dabei wirken beide Ebenen durchaus harmonisch, denn das bedrückende Gefängnismotiv setzt sich auf der Galerie durch die mit Stacheldraht umwickelten Balustraden fort. Das Orchester findet seinen Platz hinter dem Bühnengeschehen.

Nicht nur optisch, auch akustisch werden die Zuschauer bereits vor dem eigentlichen Beginn ins Stück hineingeführt, denn aus den Lautsprechern dringen hintergründige Gefängnisgeräusche, ab und an mal ein Schrei und statt der Beginn- und Pausenklingel gibt es eine entsprechende Durchsage mit der Aufforderung zur Beendigung der Hofrunde. Hier wurden die Nachteile der Location geschickt in Vorteile umgewandelt.

Gaines Hall und Friedrich Rau

Der „Kuss der Spinnenfrau“ gehört in Deutschland nicht eben zu den sehr häufig gespielten Musicals, auch wenn der Roman aus dem Jahr 1976 bereits filmisch umgesetzt wurde und das Musical seit seiner Uraufführung 1992 sowohl im Londoner West End als auch am Broadway sehr erfolgreich gelaufen ist. Deshalb lohnt noch einmal ein Blick auf die Story:
Ein argentinisches Gefängnis zur Zeit der Militärdiktatur – eine Zelle, zwei Gefangene: Luis Molina sitzt wegen der Verführung eines Minderjährigen ein, Valentin wird vom Regime als linker Guerillakämpfer festgesetzt. Hier treffen zwei Männer aufeinander, deren Lebenseinstellung nicht unterschiedlicher sein könnte: Valentin ist ein politischer Gefangener, ein Idealist, der im Kampf für die Revolution selbst schlimmste Folter erträgt. Auf der anderen Seite steht Molina, ein unpolitischer Genussmensch, der vom Feierabendglück mit dem Kellner Gabriel träumt und sich in die heile Welt alter Kinofilme flüchtet. Doch schon bald teilen Valentin und Molina mehr als eine Zelle: Als Valentins Widerstand durch Gewalt und vergiftetes Essen gebrochen werden soll, pflegt ihn Molina gesund, und auch Valentin lässt sich bald in die bessere Wirklichkeit von Filmstars wie Aurora der Spinnenfrau mit dem tödlichen Kuss, entführen. Als Molina schließlich entlassen werden soll, bedankt sich Valentin mit einer gemeinsamen, letzten Nacht.

Friedrich Rau

Friedrich Rau

In der Leipziger Inszenierung übernehmen Gaines Hall und Friedrich Rau die Rollen der beiden so unterschiedlichen Zellengenossen Molina und Valentin. In ihrer Figurenzeichnung gelingt es den beiden Darstellern, die Entwicklung der Beziehung zwischen Molina und Valentin spürbar ins Publikum zu transportieren. Aus völlig gegensätzlichen Charakteren – träumerisch, realitätsfliehend und immer mit einem Fünkchen Hoffnung an das Gute glaubend der eine, verbittert, hart und voller Wut der andere – werden erst Kameraden, dann Freunde und am Ende sogar Liebende. Dabei weiß vor allem Gaines Hall zu überzeugen, darstellerisch wie auch gesanglich. Am Ende ist er es, der sein Leben für einen Freund lässt, ein Umstand, der zu Beginn des Stückes völlig undenkbar erscheint, da er sich in seine Fantasiewelt der Kunst völlig zurückgezogen hat. Als Zuschauer, fühlt, fantasiert und leidet man mit ihm.

Gaines Hall und Anke Fiedler

Nicht ganz so überzeugend gelingt es Friedrich Rau, die persönliche Veränderung des unbarmherzigen Guerillakämpfers Valentin zu transportieren. Gerade zu Anfang fehlt seiner Figur im Spiel und Gesang die nötige Härte und Desillusioniertheit des Systemgegners, um die Wandlung durchgängig glaubhaft zu machen. Raus Stimme ist ein wenig zu weich, sein Spiel ein wenig zu freundlich, um die später folgende Entwicklung punktgenau aufzuzeigen. Am Ende des Stückes passt Raus Persönlichkeit dann jedoch perfekt zu dem Valentin, der gelernt hat zu lieben, sich um andere Menschen zu sorgen und um sie zu trauern.
Die Phalanx der beiden männlichen Protagonisten wird durchbrochen von Anke Fiedler in der Rolle der Aurora/Spinnenfrau. Sie ist das Objekt von Molinas Fantasien, zu ihr flüchtet er sich, wenn ihn die harte Gefängniswirklichkeit zu überwältigen droht. Sie taucht auf wie eine Erscheinung, meist gleich einer Himmelsgestalt auf der Galerie, hoch über den Gefängniszellen und zentral im Blickfeld der Zuschauer. Anke Fiedler singt und spielt die Aurora kraftvoll und ausdrucksstark, perfekt eingehüllt in die wunderbaren Kostüme von Aleksandra Kica. Von Zeit zu Zeit steigt sie auch herab und erscheint Luis Molina ganz nah, direkt auf der Bühne, begleitet vom Ballett der MuKo. Das sind dann auch die Szenen, die am nachhaltigsten im Gedächtnis bleiben. Das Ballett und auch der Chor verdienen bei dieser Inszenierung ein besonderes Lob, hauchen sie doch der oft eintönigen Szenerie der Zweiergespräche in der Gefängniszelle Leben und Energie ein. Doch auch die anderen Solisten – vor allem Nora Lentner als Valentins Freundin Marta, Angela Mehling als Molinas Mutter, Cusch Jung als Gefängnisaufseher sowie Milko Milev und Radoslaw Rydlewski als Gefängniswärter – überzeugen in ihren Rollen.

Anke Fiedler, Ballet

Insgesamt ist „Kuss der Spinnenfrau“ sicherlich kein ganz einfaches Stück und im Gegensatz zu vielen anderen Musicals eines mit einer tiefen, auch stark gesellschaftskritischen Handlung, die gerade in politisch unruhigen Zeiten Raum für Interpretationen bietet, die diese Inszenierung auch nutzt.
Zu sehen ist das Stück in dieser Spielzeit noch zu folgenden Terminen: 28. & 29. Februar / 01. März / 09. & 10. Mai 2020.

Fotos: ©KirstenNijhof

 

John Kander / Fred Ebb
Kuss der Spinnenfrau
Ein Musical | Buch von Terrence McNally nach dem Roman von Manuel Puig | Gesangstexte von Fred Ebb | Musik von John Kander | Deutsch von Michael Kunze

Kreativteam:
Musikalische Leitung Christoph-Johannes Eichhorn
Inszenierung Cusch Jung
Choreografie Melissa King
Bühne Frank Schmutzler
Kostüme Aleksandra Kica
Choreinstudierung Mathias Drechsler
Dramaturgie Elisabeth Kühne

Besetzung:
Luis Molina Gaines Hall | Valentin Arregui Friedrich Rau | Aurora Anke Fiedler  | Marta Nora Lentner | Molinas Mutter Angela Mehling | Gefängnisaufseher Cusch Jung | Gabriel, Gefangener Andreas Rainer | Esteban, Gefängniswärter Milko Milev | Marcos, Gefängniswärter Radoslaw Rydlewski | Frommer Mann / Gefangener Holger Mauersberger | ai-Beobachter / Gefangener Peter Waelsch | Fuentes, Häftling Tobias Latte | Aurelio, Dekorateur / Gefangener Uwe Kronberg | Emilio, Häftling Samuel Hoppe Carlos, Häftling Roland Otto

Herrenchor der Musikalischen Komödie
Ballett der Musikalischen Komödie
Orchester der Musikalischen Komödie

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