Mary Poppins – der Wind hat sich gedreht

(c) Stage Entertainment

Wenn sich in Hamburg im „Theater an der Elbe“ der Vorhang hebt und ein Schornsteinfeger auf der Bühne steht, besteht kein Zweifel mehr daran, dass er der Mittelsmann zwischen dem eigenen Alltag aus Realität und täglicher Routine und Fiktion in Form der bunten Zauberwelt eines magischen, fliegenden Kindermädchens ist. Es bleibt einem nur eins zu tun, die Hand des Glücksbringers zu ergreifen und sich für knapp drei Stunden entführen zu lassen.

Zunächst ab Herbst 2004 ein knappes Jahrzehnt lang nur dem englischsprachigen Publikum am Westend und Broadway vorbehalten, eroberte das grellbunte Familienstück, welches zu Teilen auf der Kinderbuchreihe von P.L. Travers und der Verfilmung von 1964 beruht, auch den deutschsprachigen Raum und somit die Herzen der Zuschauer – zunächst in Österreich, weitere zwei Jahre nach der deutschsprachigen Erstaufführung auch in Deutschland. Die Rede ist, wie könnte es anders sein, von Mary Poppins, jener sagenhaften Nanny, die mit ihren magischen Fähigkeiten und spitzer Zunge selbst das frechste Kind zu nehmen weiß.

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Doch zurück zum Anfang, denn dort beginnen alle guten Geschichten. Hier übernimmt Bert, der freundliche Schornsteinfeger, die Rolle des Erzählers und entführt Kinder, Kind Gebliebene und Erwachsene gleichermaßen in eine bezaubernde Geschichte. Im Kirschbaumweg 17, in London, wohnt Familie Banks – George und Winnifred mit ihren Kindern Jane und Michael. Eine gewöhnliche Familie mit ganz alltäglichen Sorgen, möchte man meinen. Während Mutter daheim ihren häuslichen Pflichten nachkommt, schuftet Vater in der Bank und die lieben Kleinen entpuppen sich als weniger lieb als der erste Anschein vermuten lässt. Eine ganze Reihe an Kindermädchen haben die Geschwister bereits ziehen lassen, so dass händeringend nach einem Ersatz gesucht wird. Gereizt umreißt George seine Präferenzen für eine Anzeige in der Zeitung, doch die Kinder haben grundlegend andere Wünsche, die er mit dem Zerreißen der von ihnen entworfenen Annonce klar aus der Welt zu schaffen versucht. Schließlich ist es Mary Poppins, die wie durch Zauberei erscheint und das Leben der vierköpfigen Familie gehörig durcheinanderwirbelt. Mit Humor, einer Prise Magie und Ironie sowie liebevoller Strenge nimmt sie die Zügel in die Hand und aus den beiden Wildfängen werden im Verlauf der Geschichte liebenswerte Sprösslinge, wie sie sich jedes Elternpaar nur wünschen kann. Bis dahin ist es jedoch ein langer Weg und nicht nur die Kinder lernen von ihrem zauberhaften Kindermädchen.

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Jane und Michael lernen bei einem Ausflug in den Stadtpark unseren Erzähler kennen, der dabei ist, ein Bild zu malen. Ihrer sofortigen Ablehnung zum Trotz nimmt Mary Poppins sie mit auf eine abenteuerliche Reise, auf der sie lernen, stets hinter die Fassade zu blicken, ehe ein Urteil gefällt wird. Unterdessen sorgt sich Winnifred um ihre gesellschaftliche Stellung und glaubt jedem gerecht werden zu können, wenn sie sich selbst verleugnet und ihre Wünsche zurücksteckt. Eine Teeparty wird sorgfältig geplant und vorbereitet, doch Jane und Michael richten unbeabsichtigt ein Chaos in der Küche an, welches kaum in Ordnung zu bringen scheint. Mit großem Organisationsgeschick ist die Nanny auch hier zur Stelle und hilft allen Beteiligten aus der Klemme. Auch wenn keiner der Gäste erscheint, ist es eine weitere Situation, an der Kinder, Mutter und Hausangestellte wachsen.

Ein weiterer Ausflug führt Kinder und Kindermädchen  in die Stadt, um George auf der Arbeit zu besuchen. Hierbei kommen ihm erste Zweifel an seinem Job, den er stets korrekt ausgeführt hat. Er weist als Folge des Besuches einen vielversprechenden Anleger ab, gewährt jedoch einem Anderen, an dessen Idee er selbst Zweifel hatte, einen Kredit. Unterdessen begegnet sein Nachwuchs auf der Straße einer alten Dame, die Vogelfutter feilbietet und während das Mädchen noch zögert, ist ihr Bruder für die Idee zu haben und füttert die Tauben auf dem Platz, ehe ihr Ausflug sie weiterführt, hinein in Mary Poppins‘ magische Welt, in der es nicht nur sprechende Statuen gibt, sondern auch Läden, in denen Wörter, Silben und Buchstaben verkauft werden. In einem riesigen Spaß erfinden sie gemeinsam eines der bekanntesten Wörter der Welt, welches ermöglicht, alles zu erklären. Als der schöne Tag am Abend im Spielzimmer in einem Trotzanfall der Kinder endet und Mary Poppins feststellt, dass sie noch viel zu lernen hätten, verlässt sie die Familie, was zu großem Bedauern bei allen führt und Winnifred zu einer Verzweiflungstat hinreißt, in deren Folge Miss Andrew als neues Kindermädchen den Platz Marys einnimmt. Sie regiert den Haushalt mit fester Hand und versetzt nicht nur die Kinder in Angst und Schrecken, sondern auch George, der selbst als Junge in den Genuss ihrer strengen Erziehung gekommen ist.

Jane und Michael sehen keinen anderen Ausweg als davon zu laufen. Erneut treffen sie auf Bert und schütten ihm ihre Herzen aus. Der freundliche Schornsteinfeger spricht ihnen Mut zu, lässt im Park einen Drachen mit ihnen steigen und als die Schnur sich in einem herbeigesehnten fliegenden Kindermädchen verheddert, ist die Erleichterung groß. Mary Poppins kehrt zurück ins Haus der Banks‘ und übernimmt erneut die Erziehung der Kleinen. Als erste Amtshandlung erteilt sie ihrer Vertretung, als nichts anderes ist Miss Andrew zu sehen, eine Lektion, die diese auf Nimmerwiedersehen aus dem Haus jagt.

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George ist bemüht, sich mit der Situation anzufreunden, doch lastet ihm die vermeintliche Fehlentscheidung den falschen Investoren abgelehnt zu haben, schwer auf den Schultern. Er fürchtet um seinen Job, was ein Telegramm von der Bank – er möge sich unverzüglich dort einfinden – noch verstärkt. Eine Reihe Schornsteinfeger, Freunde von Bert, nimmt sich der Kinder an und hinterlässt ein Chaos im Hause Banks. Doch bringt es nicht Glück, einen rußverschmierten Gesellen zu berühren? Tatsächlich macht sich Vater Banks mit gemischten Gefühlen auf den Weg, seine Frau an seiner Seite. Resolut beginnt sie für ihren Gatten einzustehen, was sich jedoch als völlig unnötig erweist, denn George hat seinem Arbeitgeber mit der Entscheidung für den Einen und gegen den Anderen einen großen Dienst erwiesen. Große Erleichterung macht sich breit und endlich findet die gesamte Familie den Zugang zueinander. Nicht mehr die eigenen Probleme stehen im Vordergrund, sondern ein Verstehen und aufgeschlossenes Miteinander. Es könnte so schön sein, wäre da nicht dieser winzige Wermutstropfen, dass Mary Poppins‘ Dienst bei der Familie getan ist. Sie verschwindet in die Dunkelheit und fliegt über die Köpfe der Zuschauer hinweg.

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Das Musical ist ein Kaleidoskop aus Formen und Farben und für jede Altersstufe ein Hochgenuss. Perfekt inszeniert wirkt es –  mit atemberaubenden Ensembleszenen, großen Tanznummern und viel Witz, Charme und Moral, doch zu keiner Zeit überzogen. Es gelingt auf beinahe magische Weise eine Traumwelt zu schaffen, in der sich der Zuschauer sofort heimisch fühlt und während der Zeit des Musicals alles für möglich hält. Mary Poppins führt die Realität ad absurdum und mit der Musik von Robert B. Sherman und Richard M. Sherman wird die Zauberwelt lebendig. Die Geschichte spricht für sich, während man sich bewusst wird, dass sich mit dem detailverliebten Bühnenbild und der Beleuchtung „bunt“ noch steigern lässt, allerdings nicht in Kitsch umschlägt. Die Kostüme wie auch das Bühnenbild sind nicht nur zweckmäßig, sondern vor allen Dingen schön und mit viel Liebe für kleinste Details ausgearbeitet. Wir hatten die Möglichkeit, uns das Stück in den vergangenen Wochen mehrfach anzusehen, sodass wir zu dem Schluss kommen, dass es nicht von der Besetzung lebt, sondern hier eher umgekehrt ist. Ob es Hannah Leser in der Hauptrolle als fliegendes Kindermädchen an der Seite von David Boyd als Bert ist oder Léonie Thoms mit Tobias Joch  gemeinsam auf der Bühne steht – das Disney Musical spornt sie alle zu großartigen Leistungen an. Es ist beinahe „Supercalifragilisticexpialigetisch“, wie die Kinderdarsteller, denen zwei Hauptrollen zukommen, mit ihren erwachsenen Kollegen souverän interagieren. Mit Präzision und sichtlicher Freude ist das gesamte Ensemble stets auf dem Höhepunkt ihres darstellerischen, gesanglichen und vor allem tänzerischen Geschicks. Atemberaubende Steppnummern lassen die Zuschauer den Atem anhalten und mitfiebern, wenn Bert bei „Schritt für Schritt“ buchstäblich die Wände hochgeht und selbst über Kopf in der Lage ist, zu steppen. Auch „Die Vogelfrau“ weiß von sich zu überzeugen und spielt sich mit ihrer vergleichsweise kleinen Rolle in die Herzen. Dass Mary Poppins „Völlig ohne Fehler“ ist, braucht man kaum zu erwähnen, es gibt wohl niemanden, der der jeweiligen Darstellerin die  Rolle nicht abnimmt. Die deutschen Übersetzungen von Wolfgang Adenberg sind gelungen und die Lieder unterstützen die Geschichte zu jeder Zeit. Ein Garant für Gänsehaut ist „Alles, was wir wollen, kann passieren“, in dem die Botschaft ist, den Himmel zu ersehnen, statt nur nach den Sternen zu greifen. Große Träume lassen Wunder geschehen. So wie Mary Poppins sich am Ende verabschiedet, als die Zeit reif ist, so geht auch in der Realität jede schöne Zeit einmal zu Ende. Nach 18 Monaten verlässt nun am 18. August 2019 das Musical die Hansestadt, um für den Nachfolger „Pretty Woman“ Platz zu machen. Doch möglicherweise kehrt es irgendwann auf eine deutsche Bühne zurück, wenn die Zeit reif ist, oder wie die Protagonistin sagen würde, „Wenn der Wind sich dreht“. Wer die Gelegenheit hat, eine der letzten Vorstellungen noch zu besuchen, dem können wir das uneingeschränkt empfehlen.

Fotos: Pressematerial (c) Stage Entertainment

 

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Ein Kommentar

  • Ich habe es im November gesehen und denke gerne daran zurück,denn es war atemberaubend.Leider weiß ich nicht ob es woanders mal aufgeführt wird oder auf Tournee geht.Für mich das beste Musical was ich bisher gesehen habe.

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