Mit Robert G. Neumayr und Thomas Neuwerth im Gespräch

„Mit Off-Produktionen lässt sich zwar weniger Geld in die Hand nehmen, aber dafür bedeutend mehr Herz. Am Ende des Tages muss die Qualität stimmen!“

 

Ein später Märzabend in Hamburg. Auf dem Kiez geht das Leben in den Kneipen und auf den Straßen erst so richtig los, als sich im Schmidtchen, der kleinen Theater-Schwester vom Schmidt und Schmidts Tivoli auf der Reeperbahn, der letzte Vorhang senkt. „Ben mag Bier, Sport und Emily. Und Chris.“ Die Hamburg-Dernière von „Straight“, einem besonderen Schauspiel über Schubladendenken, und das Vorhandensein von Vorurteilen, neigt sich dem Ende entgegen. Die Besucher strömen langsam aus der Spielstätte, bleiben teilweise noch diskutierend vor dem Haus stehen und lassen den Abend, das Stück und dessen Botschaft Revue passieren.

Drinnen beginnt das Zusammenpacken der Spielrequisiten – die Deutschlandpremiere ist geschafft. Nach drei erfolgreichen Vorstellungen verabschieden sich der Cast und die Verantwortlichen von Hamburg, von der Reeperbahn und vom Kiez und steuern auf den nächsten Spielort Berlin zu, wo „Straight“ Ende April im Pfefferberg Theater ein weiteres kleines Gastspiel geben wird.

Thomas Neuwerth und Robert G. Neumayr (c) Astrid Mohren

Aber noch bevor uns das rote Sofa, der vorherige Bühnenmittelpunkt, von den fleißig werkelnden Händen unterm Allerwertesten weggeräumt werden kann, haben wir in gemütlicher Runde die Gelegenheit, uns mit Robert G. Neumayr, der für die Regie und Produktionsleitung verantwortlich zeichnet, und Thomas Neuwerth, zuständig für Co-Produktionsleitung, Dramaturgie und Recht, zu unterhalten und mehr über das Stück, mehr über den Gedanken dahinter sowie ebenso einen kleinen Touch Privates zu erfahren.

 

Bei „Straight“ handelt es sich um ein Schauspiel für Drei-Personen von Scott Elmegreen und Drew Fornarola (Deutsch von Peter Torberg), welches 2016 am Off-Broadway im Acorn Theatre seine Uraufführung feierte. Da uns bekannt ist, dass sich das europäische Produzententeam gerne solch kleinerer, besonderer Stücke annimmt, sind wir zu Beginn neugierig zu erfahren, warum sie sich gerade dem Off-Theater verschrieben haben und was sie daran so fasziniert. Die erste schnelle Antwort kommt von Thomas Neuwerth, der bedauernd bemerkt, dass wohl das Wesentliche sei, dass es solche Stücke im deutschsprachigen Raum leider kaum gäbe und dem Genre zugeneigte diese dann fälschlicherweise mit Amateurproduktionen in Verbindung brächten. „Am Broadway oder dem West End sind Off-Produktionen an kleinen oder Off-Off gar an ganz kleinen Theatern aber genauso künstlerisch und organisatorisch professionelle Inszenierungen – nicht nur im Musical-, sondern auch Schauspielbereich – und das macht die Sache für mich interessant, das ist für mich die Triebfeder, solche Stücke in den deutschsprachigen Raum zu bringen.“ Gerade bei „Straight“ wäre deutlich sichtbar, dass es sich um etwas professionelles Kleines handeln würde, etwas, das bewegt und worüber man im Anschluss an die Vorstellung auch noch nachdächte, ohne ein riesiges Millionen-Euro-Budget zu haben. Robert G. Neumayr pflichtet ihm bei „Ich finde, es erlaubt einfach mehr Intimität“.

 

Thomas Neuwerth
(c) Martin Phox

Dass nicht nur Off-Musical, sondern generell Off-Theater mit seinen unterschiedlichen Genres, einen hohen Stellenwert für sie habe, erklären sie uns kurze Zeit später auf unsere Frage nach der Gewichtung: „Die Unmittelbarkeit gegenüber dem Publikum ist einfach eine ganz andere als  in einem 2000 Sitzplätze Haus“ sinniert Neuwerth, ehe Neumayr einfügt, dass man für solche Produktionen einfach auch nur Darsteller/innen gewinnen könne, denen das Stück an sich am Herzen läge, da eben auch die finanziellen Voraussetzungen andere seien. “Meiner Meinung nach lässt sich zwar weniger Geld in die Hand nehmen, aber dafür bedeutend mehr Herz. Am Ende des Tages muss die Qualität stimmen!“ Auch bei einer solchen Produktion versuche man ebenso wie bei weitaus größeren, immer die besten Darsteller/innen auf die Bühne zu bringen. „Die Besten sind nicht nur die Bekanntesten, nicht nur Leute mit einem großen Namen, aber es sind fast immer Profis – zumeist fertig ausgebildete Darsteller/innen, vielleicht unbekanntere – aber nicht weil die billiger sind, sondern weil gerade diese Personen einfach perfekt auf die Rollenprofile passen“, bringt es Neuwerth auf den Punkt. Je nachdem, wer Interesse an einem solchen Stück habe, seien sich auch beliebte Leute wie beispielsweise ein Andreas Bieber, mit dem er 2014 die deutschsprachige Erstaufführung von „Die Geschichte meines Lebens“ produziert habe, nicht zu schade, auch mal ein kleines Stück für wenig Geld zu spielen, einfach weil es ihnen am Herzen liegt und sie es gerne machen wollten. Für „Altar Boyz“, das derzeit in Berlin und über Ostern in Hamburg unter der Regie von Michael Heller zu sehen ist, und bei welchem Neuwerth u. a. für die Lizenzierungen zuständig war, sei sogar noch ein weiterer Schwierigkeitsgrad hinzugekommen. Sie hätten Darsteller/innen gebraucht, die alle drei Sparten des Musicalgenres hervorragend beherrschen. „Wir brauchten Triple Threats, Darsteller/innen, die sowohl singen, tanzen als auch schauspielern können – sie müssen nicht bekannt sein, aber immer hochprofessionell, das ist das Wesentliche!“

Es gibt einen großen Topf an Produktionen, die eigentlich nur darauf warten, von irgendwoher außerhalb ihres normalen Off-Broadway Lebens entdeckt zu werden. Es interessiert uns zu erfahren, wie unsere Gesprächspartner die für sie passenden Stücke auswählen. „Ich vertraue da ganz auf mein Bauchgefühl. Wenn ich beim Lesen – meist in der Badewanne“, fügt Neumayr lachend ein, „schon denke, das könnte ich erzählen und Ideen habe, dann bin ich der richtige Mann dafür. Ich habe aber auch schon Anfragen abgelehnt, weil ich das Gefühl hatte, das Stück umschreiben zu müssen, um es erzählen zu können, ich wusste damit dann nichts anzufangen.“

Wie sie gerade auf „Straight“, aufmerksam geworden seien, beantwortet uns Neuwerth. Der Darsteller von Chris, David Paul, sei damit auf ihn zugekommen. Er hatte während seiner Studienzeit in New York davon gehört und konnte dort sogar einen der beiden Autoren kennen lernen. „Ich habe mir das Script angeschaut und war sofort begeistert, es ist einfach spannend und cool.“ Praktischerweise sei bereits eine deutsche Übersetzung bei einem der wichtigsten deutschen Bühnenverlage verfügbar gewesen.

Robert G. Neumayr
(c) René Ecker

Da eine Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche durchaus eine Gratwanderung sein kann, wie unterschiedliche Inszenierungen in jüngster Vergangenheit beweisen, möchten wir wissen, wie gut Peter Torberg dies gelungen ist und erkundigen uns nach der Nähe zum Original. „Ich mache ja eigentlich vorwiegend englisches Theater,“ erläutert Neumayr, „aber diese Übersetzung war solide. Ein paar Wörter haben wir in der Bearbeitung noch geändert, um es runder zu machen, eine auditive Geschichte. Wir haben bezeichnende Worte, die mit übersetzt wurden, doch im Original belassen, einfach um die Brücke zum Amerikanischen zu schlagen.“ Nur ein paar Kanten hätten sie glattbügeln müssen – dem deutschen Ohr klänge es fremd, wenn am Ende eines Satz das englische Wort ‚straight‘ stünde und vorher alles nur deutsch gewesen sei. Das Voranstellen beispielsweise eines ‚sorry‘ würde diese Problematik aufheben, gibt er uns ein plastisches Beispiel. „Mir ist es einfach auch extrem wichtig, dass eine Übersetzung zu 99 % an der Originalfassung dran ist“, spinnt er den Gedanken weiter. Dinge wie Football, die dazu gehörenden Ligen oder diese Obama Care Geschichte hätten sie so belassen, auch wenn dies rein amerikanische Themen seien. Wonach sich Neuwerth einschaltet und erklärt, dass es einfach auch eine notwendige und ganz rationelle Entscheidung sei, zu hinterfragen, ob ein Stück mit amerikanischem Hintergrund, aus einem Land mit einer doch deutlich anderen Prägung, in Europa, in Österreich oder Deutschland, überhaupt funktionieren könne. „Aber hier sind das alles nur Nebengeräusche, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, es ist nicht die Essenz, nicht die Aussage des Ganzen, und daher kann man das sehr wohl in unsere Gefilde bringen. Auch die Zuschauer hier können sich durchaus darauf einstellen und sich vor allem darauf einlassen, ohne dieses amerikanische Umfeld als störend zu empfinden.“ Im Wesentlichen ginge es um Rhythmus und Authentizität der Sprache, fügt Neumayr zusätzlich an. Im Amerikanischen dresche man oft Phrasen, man spräche schnell und käme selten konkret und direkt auf den Punkt. Im Deutschen, vor allem in Hamburg, sei das durchweg anders. Hier sagen die Menschen oft genau das, was sie denken. „Der unterschiedliche Rhythmus der deutschen zur amerikanischen/englischen Sprache ist eine echte Herausforderung und der vielgelobte Wortwitz funktioniert teilweise wirklich nur mit der unsrigen. Im Englischen haben Worte wie ‚Eier‘ oder ‚Latte‘ keine Doppelbedeutung, das ist nur im Deutschen so und dann erzeugen Sätze wie „Ben, du hast keine Eier“ schon brauchbare Lacher. Aber wirklich schön war zu sehen, dass Drew, also die eine Hälfte des Autorenteams, der bei der Wiener Premiere dabei war, dem Stück komplett folgen konnte, ohne auch nur überhaupt ein Wort Deutsch zu sprechen.“

Die geeignete Besetzung für eine Produktion zu finden sei niemals leicht, schon gar nicht für eine mit solchem Hintergrund, in der es recht intime Szenen und Momente gäbe. David Paul, der den gedanklichen Anstoß zur Produktion gegeben hatte war von Beginn an für die Rolle des Chris gesetzt gewesen, Viktoria Hillisch sei Neuwerth bereits beim Lesen der Vorlage als Idealbesetzung für Emily in den Sinn gekommen, und für Ben sei zunächst jemand anderes vorgesehen gewesen, der aber die zeitlichen Vorgaben nicht habe erfüllen können und wieder aussteigen musste. „Aber, wie man so schön sagt, ‚Gut Ding braucht Weile‘ und ich habe Robert dann einige passende junge Darsteller vorgeschlagen, unter anderem auch Lukas (Müller) und ich glaube, das war – wie sich jetzt heraus stellte – ein absoluter Glücksgriff. Und bei Robert einfach Liebe auf den ersten Blick.“ „Ja, war es.“, wirft Neumayr schmunzelnd ein. „Eine perfekte Besetzung zu finden ist wirklich niemals leicht, Casting ist eins der schwierigsten Dinge überhaupt und gerade bei so einem Stück. Mit einem Cast, der keine Chemie miteinander hat, der sich im Zweifel nicht versteht, kann so ein Stück nicht funktionieren. Es geht da gar nicht mal um die expliziteren Geschichten – die sind relativ choreografisch und man arbeitet einfach Schritte ab. Aber wo man einen anderen in seinen intimsten Bereich lässt, wo sich vielleicht auch mal Körperteile berühren, was im normalen Umgang peinlich wäre und man dies vermeiden würde – hätte man keinen harmonischen Cast, wäre so etwas künstlerisch qualitativ unmöglich.“

Wir selbst können sagen, dass dem Team eine hervorragende Besetzung der einzelnen Rollen gelungen ist. Die Darsteller/innen spielen engagiert, vor allen Dingen glaubhaft und sehr authentisch, jedes einzelne Wort hallt noch eine lange Zeit in den Köpfen der Zuschauer nach und hinterlässt kontroverse Gedanken und Emotionen. „Vielen Dank!“, zeigt sich Neuwerth berührt. „Sie hatten auch wahnsinnig viel Arbeit damit. Ben, also Lukas, steht quasi ununterbrochen auf der Bühne und hatte ein immenses Textpensum zu bewältigen – das Script insgesamt hat 118 DIN A4 Seiten, vielleicht kann man sich dann vorstellen, was das für eine Leistung ist. Sie müssen ja nicht nur den Text beherrschen, sondern dabei auch noch spielen.“ In Musicals helfe die Musik, sich Texte besser einprägen zu können, aber hier handele es sich ja um ein reines Schauspiel und was das bedeute, würde viel zu selten realisiert. „Also ich habe ihnen gesagt, wenn sie jeden Abend zu 95 % den korrekten Wortlaut schaffen, dann sind sie sehr gut dabei – mehr ist auch glaube ich gar nicht möglich“, zeigt sich auch Neumayr lobend.

Bei der dargestellten Thematik fragt man sich sicherlich sofort, ob es wohl Berührungsängste mit einem solchen Stoff geben könnte, sowohl seitens der Verantwortlichen als auch seitens der Darsteller/innen. Absolut sicher und spontan meldet sich Neumayr zu Wort: „Von meiner Seite aus gar nicht!“ Als Neuwerth ihm das Stück vorgeschlagen und er es gelesen habe, sei er lediglich erfreut gewesen, dass es sich nicht wieder um ein ‚Coming out Stück‘ gehandelt habe. „Ohne es vorweg zu nehmen, war ich beim Schluss ein wenig hin und hergerissen, aber inzwischen liebe ich ihn – wobei ich da wohl nicht mehr so richtig objektiv bin“, grinst er wissentlich. Das erste Herantasten der Darsteller/innen an den Inhalt, er sei ein irrsinniger Verfechter von Textarbeit und hätte diese damit die ersten eineinhalb bis zwei Wochen an den Tisch gefesselt, sei zum Ergründen da gewesen, mit welcher Art Typen und Charaktere man es eigentlich zu tun habe und wie man genau das aussagt, was ausgesagt werden soll. „Auf der Bühne bin ich dann immer sehr pragmatisch mit meinen Darsteller/innen. Es ist einfach peinlich, seltsam und nichts Alltägliches, sich in Unterhosen aneinanderzuschmiegen, vor allem wenn sich gewisse Körperteile dabei berühren werden, weil es eben für die ehrliche Darstellung von Bedeutung ist. Da ist es als Regisseur meine Aufgabe, einen Raum, ein Umfeld herzustellen, wo sie mir vertrauen können. Es ist wichtig, dass man das auf der einen Seite nicht ausnutzt, auf der anderen Seite aber darüber lachen und davon peinlich berührt sein darf. Ich habe bei einer Probe auch mal gesagt ‚Ja, eure beiden Penisse werden sich jetzt berühren und ja, das ist seltsam, aber das ist nun mal so.‘ Ich habe wohl einfach befürchtet, dass Gedanken aufkommen könnten wie ‚nicht, dass der andere jetzt denkt, dass ich was von ihm will‘, oder so. Aber eigentlich stand das nie im Raum, alle Drei waren, was das angeht, einfach durchlässig und easy, und auf meine Frage, wie das so sei, bekam ich als Antwort ‚wie Flaschendrehen‘.“

Die europäische Erstaufführung von „Straight“ in Wien und die Deutschlandpremiere in Hamburg sind durch, und uns drängt die Frage nach den Rückmeldungen. Hörte man hauptsächlich positive Dinge oder gabs auch Gegenwind vom Publikum? Eigentlich seien die Meinungen im Großen und Ganzen sehr bestätigend gewesen, erinnert sich Neuwerth. „Natürlich gibt es immer wieder Stimmen, denen das Stück oder sonst das eine oder andere an der Produktion nicht gefällt, aber das ist überall gleich. Wir hatten sowohl bei der Premiere als auch bei der Dernière in Wien Standing Ovations und es gab, genau wie hier zwischendurch auch, Szenenapplaus. Das ist eigentlich eine typische Musicalgeschichte, im Schauspiel aber eher nicht normal, ebensowenig wie der Run an die Stagedoor und daher gibt uns das ein gutes Gefühl und Bestätigung.“ Weiter überlegt Neumayr, habe es keinen direkten Gegenwind gegeben, halt nur Besucher, denen es besser oder schlechter gefallen hat. „Über Gefallen und Nichtgefallen kann man ohnehin schwer diskutieren. Wenn es jemandem nicht gefällt, dann hat man wenig Spielraum, dies zu ändern. Was ich aber deutlich wahrnehme, ist, dass es zum Reden anregt. Nach der Wiener Dernière habe ich noch bis in die frühen Morgenstunden Diskussionen geführt – über Label- und Schubladendenken, über richtige und falsche Entscheidungen und natürlich über den Schluss des Stückes.“

Der Schluss – wo wir einmal bei diesem Thema angekommen sind, interessiert uns natürlich brennend die Frage, wie unsere Gesprächspartner zum Ausgang des Stückes stehen. Wir persönlich finden es bezeichnend, dass Emily aka Vicky an diesem Abend beim Schlussapplaus etwas macht, wo wir uns die Frage stellen mussten, ob dies eine geplante Aktion ist, die noch in ihrer Rolle stattfindet, oder ein Statement der Schauspielerin? Neumayr unterstreicht lachend unsere Idee einer Aussage ihrerseits und Neuwerth schmunzelt ob unserer Beobachtung „Da war sie nicht mehr in ihrer Rolle, das war Vickys eigene Idee.“ Weiter führt er seine Gedanken aus, indem er uns bestätigt, dass auch er beim ersten Lesen dem Ende eher kontrovers gegenübergestanden habe, auch habe er bereits damals kleine Änderungen/Ergänzungen diesbezüglich mit Autor Fornarola erörtert. Für ihn wäre eine offenere finale Variante durchaus reizvoll gewesen. Ein Nachrichteneingang auf Bens Handy beispielsweise, der durchsickern ließe, dass dieser gedanklich eigentlich noch gar nicht aus der Situation herausgekommen ist. Wichtig sei aber auf jeden Fall gewesen, dass das Stück eine für die Zuschauer vielleicht doch überraschende Wendung erfährt, nicht immer sei auch im normalen Leben ein Happy End, in welche Richtung auch immer, erreichbar. „Manchmal bleibt der geküsste Frosch eben tatsächlich eine Kröte. Trotzdem bleibt das Ende hier immer noch irgendwie offen – morgen kann das alles schon wieder ganz anders aussehen.“ Neumayr habe sich während der Arbeit mit dem Schluss anfreunden können, aber letzten Endes habe auch er sich eigentlich etwas anderes gewünscht. „Alle drei Charaktere tragen dazu bei, dass sie quasi in ihr eigenes Verderben, in ihr eigenes Unglück laufen.”

Bei unseren Gesprächen erfahren wir gerne auch ein wenig mehr von unserem realen Gegenüber und ziehen einen Bogen weg von der Person unter der Maske oder der vor oder hinter der Bühne. Mit Thomas Neuwerth haben wir einen wahrlich vielseitigen Menschen vor uns. Hauptberuflich Jurist in einer Kanzlei, ganz nebenbei noch Dramaturg und Produktionsleiter, ebenso Mitglied des Aufsichtsrates der Vereinigten Bühnen Wien und zudem befindet er sich gerade in der Endphase seines Kulturmanagement Studiums in Kaiserslautern und Hamburg. Wie eröffnet sich ein solch mehrschichtiger Weg? „Das ergibt sich einfach irgendwie. Bei mir waren es ganz viele sogenannte Zufälle. Sogenannte, weil ich nicht an den Zufall glaube – es gibt Erlebnisse und – ganz wichtig – Begegnungen mit bestimmten Menschen, und man trifft Entscheidungen, aus denen sich dann wieder andere Entscheidungen ergeben. Rückblickend erkennt man dann, dass es tatsächlich richtige waren, auch wenn man im ersten Moment vielleicht noch nicht ganz überzeugt war. Und wenn wir es schaffen, ein Stück nicht nur nach Europa zu holen, sondern es auch noch in Wien, Hamburg und Berlin auf die Bühne zu bringen, dann muss unser gesamtes Team irgendetwas richtig gemacht haben.“ Die vielen unterschiedlichen Ausbildungen ermöglichten ihm, gerade im Theaterbereich, zusätzlich den Blick aus verschiedenen Perspektiven schweifen zu lassen. „Als Jurist denkt man halt anders als als Dramaturg oder Autor – ich schreibe Stücke seit meinem zwölften Lebensjahr. Neurobiologisch, würde Emily jetzt sagen, habe ich einen komplett anderen Zugang – wenn man in verschiedenen Gehirnsphären denkt und sich sowohl sinnlich und emotional, als auch rational und organisatorisch einbringen kann, hat man einen immensen Vorteil – jeder Teil alleine für sich würde kaum zu einem Ergebnis führen.“

Zeitlich sei das alles natürlich eine Herausforderung und er sei quasi dauernd unterwegs. Am momentanen Beispiel gemessen sei er am Vortag nach einem langen Vorstellungsabend sehr früh aufgestanden, damit er in Wien an einer Aufsichtsratssitzung hätte teilnehmen können. Anschließend ging auch schon wieder der Flieger zurück nach Hamburg, zur nächsten Aufführung von „Straight“

Robert G. Neumayr hat sich in Wien zum Musicaldarsteller ausbilden lassen, während seiner Darsteller-Laufbahn aber meist die kleineren Theater bevorzugt, große Produktionen hätten ihn nie wirklich angesprochen. „Ich bin überhaupt kein Longrun-Mensch und war immer jemand, der lieber geprobt wie gespielt hat. Heute habe ich mich zu 80 % von der Bühne zurückgezogen und mach nun tatsächlich das, was ich immer schon lieber gemacht habe – Proben, denn das ist die grundlegende Aufgabe eines Regisseurs.“ Schon früher habe er Regisseuren gern bei der Arbeit zugesehen und so viel von ihnen lernen können, da er fast ausschließlich Glück mit sehr guten gehabt habe. Das Schreiben habe schon von der Volksschule an zu seinen größten Hobbies gezählt – mit wachsender Begeisterung habe er sich Geschichten ausgedacht und viel „gelogen“ – dann habe sich das einfach so ergeben. „Wie Thomas eben auch sagte, das ergibt sich einfach. Zwei Kolleginnen, die unbedingt einmal zusammen spielen wollten, habe ich diesen Wunsch erfüllt, indem ich ihnen ein Stück geschrieben und es inszeniert habe. Damit hatte ich Blut geleckt. Ich habe oft Dinge gesehen und gedacht, ich könnte sie besser machen, und nun sind wir hier.“ Ein paar Rollen gäbe es auch heute noch, die er gerne einmal verkörpern würde, aber da es für ihn ein Ausschlusskriterium sei sich selbst zu inszenieren, stecke er diesbezüglich in einem großen Zwiespalt. „Lediglich bei zwei oder drei Stücken fiel mir als Darsteller der Abschied schwer, hatte ich das Gefühl, am Schluss noch weiterspielen zu können. Das zeigt mir ganz deutlich, dass die Regie schon eher das Richtige für mich ist und leider ist der Wunsch in einem Stück zu spielen eben oftmals auch daran gekoppelt, es gern inszenieren zu wollen.“

Die Frage nach seinem Regie-Konzept beantwortet er immer damit, dass er gute Geschichten erzählen möchte. Was aber sind die Zutaten dafür, was genau braucht eine gute Geschichte? „Oberste Prämisse im Theater ist für mich die Authentizität. Wenn ich Charakteren nicht glauben kann oder sie als nicht glaubhaft empfinde, findet für mich kein Theater statt. Weiterhin benötigt eine gute Geschichte einen guten Autor und Vertrauen in ihn. Im englischen Theater ist das eher Standard – in unseren Breitengraden seltener. Wenn man den Drang verspürt eine Geschichte zu ändern, das Script anzupassen oder neu zu interpretieren, dann ist das kein Vertrauen. Der Autor hat sich hoffentlich große Mühe gegeben, seine Gedanken vernünftig und gut niederzuschreiben und darauf muss ich vertrauen können. Es ist schwer genug diese Texte zu nehmen und glaubhaft zu erzählen. Es verlangt also Authentizität, benötigt Vertrauen sowie Darsteller/innen, die auf der Bühne echte Menschen bleiben.“

Um den Kreis zu schließen und noch einmal auf den Gedanken, auf die Intention hinter „Straight“ zurückzukommen, gelten unsere letzten Fragen dem Label-Denken, dem Denken in Schubladen. Im Vorfeld zur Produktion standen die drei Darsteller/innen nebst Teilen des Produktionsteams (Alexander Plein, Nico Brunnbauer und Robert G. Neumayr) mit großer Unterstützung von Musicalstars nicht nur gemeinsam in zwei Konzerten auf der Bühne. Daneben haben bekannte Schauspieler/innen und Musicaldarsteller/innen aus Deutschland und Österreich auch in kleineren oder größeren Interviews für die Kampagne „#LivingALabel“ zum Thema Stellung bezogen. Die Kampagne gab es in relativ kleinem Rahmen bereits 2016 zur Uraufführung und wurde zur europäischen Erstaufführung übernommen und erweitert. „Es ist ja nun nicht unbedingt normal, eine gesellschaftspolitische Kampagne parallel zu einem Stück zu machen“, erläutert Neuwerth, der auch als Kampagnenleiter fungiert, „aber es ist ein sehr spannendes Thema.“ Durch seine langjährige Erfahrung im Musicalbereich habe er seine Kontakte nutzen und begeistern können. Viele setzten sich ohnehin mit eben diesem Thema auseinander. Selbst österreichische Politiker/innen konnten als Unterstützer gewonnen werden und auch aus Deutschland folgten gerade noch zwei, die hierzu ihre Gedanken teilten. „Natürlich war der Sinn der Sache schon auch, die Leute darüber ins Stück zu bringen. Wir haben hier ein reines Schauspiel, was keinen Hype ähnlich dem der Musicals erfährt – es gibt keine Schauspielfans, die ihren Protagonisten/innen hinterherreisen. Ich habe versucht die Kampagne sehr breit aufzustellen, war aber vom Erfolg ebenso überrascht. Mit der Interviewserie sind wir am 1. Dezember 2018 (Weltaidstag) gestartet und konnten so unser Stück ebenfalls puschen. „Straight“ ist halt nichts wahnsinnig bekanntes, wo jeder nur drauf wartet, bis es einer nach Europa holt – es ist unbekannt und muss erst entdeckt werden. Aber abgesehen vom Marketing war es uns sehr wichtig, dass sich die Leute mit diesem Thema auseinandersetzen. Ein homosexueller Mensch braucht hierzulande keine Rechte mehr eingeräumt bekommen, wie vielleicht noch anderswo in der Welt, hier ist eine andere Orientierung mittlerweile völlig normal. Was es hier noch benötigt, ist von der Ghettoisierung, der Schublade wegzukommen und den Menschen hinter seiner Fassade zu sehen. Ben sagt im Stück einen wahren und wichtigen Satz: ‚…und warum ist das jetzt toll, warum ist das überhaupt irgendwas?‘“

Viele Menschen haben sie zu ihren Gedanken über „#LivingALabel“ und Schubladendenken befragt, aber was sagen unsere Gesprächspartner dazu? Was geben uns Robert G. Neumayr und Thomas Neuwerth mit auf den Weg? Auf welcher Seite stehen sie selbst, haben sie mit Schubladen zu kämpfen und wie gehen sie damit um? Eine Frage, die es uns zu stellen drängt, uns aber auch schwer über die Lippen kommt. Viel habe er bereits im Vorfeld dazu gelesen und sich auch sehr damit beschäftigt, erläutert uns Neuwerth, und beantwortet die Frage nach seiner Orientierung mit ‚gay‘. „Aber es ist unwichtig, wer oder was man ist – jeder ist ein individueller Mensch, der es verdient einfach so genommen zu werden wie er ist, ohne Vorverurteilung, ohne Label. Es spielt keine Rolle und sollte auch niemals eine spielen. Weder beim Produzenten/in oder beim Regisseur/in, noch bei den Darsteller/innen. Ob nun ein Schwuler einen Schwulen, ein Hetero einen Hetero, ein Schwuler einen Hetero oder ein Hetero einen Schwulen mimt, und ich sehe auch kein Problem darin, wenn eine farbige Darstellerin eine Baronin von Waldstätten spielt, wenn sie die künstlerischen Anforderungen erfüllt, also es schauspielerisch und besonders gesanglich perfekt macht. Wenn man einfach mal damit aufhören würde beispielsweise bei einer Audition über den Teilnehmer zu denken, ist der nun schwul oder nicht, passt das nun oder passt das nicht, ist der nun zu sehr schwul oder zu wenig schwul – wichtig ist doch einzig, ob er eine Präsenz hat, ob er singen, tanzen und schauspielern kann!“ Schwierig wäre die Feststellung, dass man, wie sehr man auch progressiver, moderner Gutmensch sei – und das ganz positiv gemeint – das man Schubladendenken nur schwer abschalten könne. In Labels denke man ganz automatisch, aber es würde einem immer mehr bewusst, je mehr der Gedanke daran Fuß fasse und man ihn verinnerliche. Ein typischer Schwuler sei ebenso eine Schublade wie ein typischer Musicalfan – man mache damit die Menschen zu Abziehbildern kollektiver Gruppen und solange man dieses Denken nicht ändere, lerne man niemals den wirklichen, wahren und ehrlichen Menschen hinter dieser selbstgebauten Wand kennen.

Einen eindrucksvollen, wenn auch sehr lustigen Beweis dieser Theorie liefert uns Neuwerth unbewusst. „Wir sind einfach wir. Ich bin Thomas Neuwerth und das ist Robert G. Neumayr – wofür steht das G. eigentlich?“ – „Georg“ – „Oh, ich dachte immer für Gustav“ generiert unter uns viele Lacher, aber im Grunde auch unmittelbar den Gedanken an eine weitere Schublade, bevor sich Neumayr mit seinen Gedanken zu der Ursprungsfrage zu Wort meldet. Spontan und ohne Berührungsängste hatte er seine Orientierung bereits zu Beginn mit einem klaren ‚gay‘ geoutet und gibt seine weitere Einstellung dazu auch ohne Zögern preis: „Schwul sein ist nicht etwas, was ich bin, sondern etwas, das ich tue!“ Er hinterlässt damit den Eindruck eines starken und in seinen Grundsätzen gefestigten Menschen. Allerdings gibt auch er zu bedenken, dass das komplette Verschließen der Schubladen in der Realität wahnsinnig schwer umzusetzen sei. Es sei einfach ein Urinstinkt, ein Schutzmechanismus, wie man sich ja auch nicht einfach mit jedem Menschen unterhalten könne oder gar wolle. „Ich unterschreibe alles, was Thomas eben gesagt hat, aber ich empfinde gerade das Wort schwul daran als komplett falsch. Es geht doch viel eher darum, ob einer affektiert ist oder nicht. Aus meiner Sicht als Regisseur muss ich sagen, wenn es einen tollen Darsteller gäbe, der es nicht schafft, seine Affektiertheit in den Griff zu bekommen, wenn er Ben spielen wollte, dann wäre er nicht der Richtige für diese Rolle. Egal welche Orientierung er hat, das hat nichts mit schwul oder nicht schwul zu tun. Es gibt auch Heteros, die affektiert sind.“ Lukas sei dies aber keinesfalls. „Lukas ist in seiner Heterosexualität vollkommen gefestigt und hatte bei den Proben in intimeren Situationen immer Schwierigkeiten festzustellen, wo denn nun eigentlich genau das Problem sei. Auch wenn ich meine eigene Familie so anschaue – ich bin zwar der einzige mit dieser Orientierung, aber auch derjenige mit der längsten Beziehung, alle anderen sind geschieden und hassen sich – so viel also zu Labels und Schubladen.“ Nach einer kurzen Überlegung bringt er dann sein Statement zum Labeldenken mit einem Zitat vom deutschen Schriftsteller Peter Hille auf den Punkt und unser Interview zu einem runden Abschluss: „Vorurteil! -Das Wort ist nicht übel, wollte nur das Urteil nachkommen.“

 

Wir bedanken uns bei Thomas Neuwerth und Robert G. Neumayr für ihre geschenkte Zeit, das informative, ausführliche und zum Nachdenken anregende Gespräch, sowie für die intensiven und ehrlichen Worte.

 


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weiterführende Links:

Straight – Europäische Erstaufführung 2019 – Wien Hamburg Berlin
Thomas F. Neuwerth, Kulturmanager
Robert G. Neumayr

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