Oh What a Night! – Greatest Unknown Hits
Eine herzerwärmende Show über den italienischen Migrantensohn aus Newark, New Jersey, von dem in Deutschland „niemand wissen wie heißen“.
Wenn die „Bar jeder Vernunft“, die in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen im Herzen Berlins feiert, ein Projekt aufnimmt, wird dies fast immer zum Erfolg.
In diesem Sommer finden sich zum bereits dritten Mal vier charmante Herren zusammen, um die Musik eines „völlig unbekannten“ Weltstars Revue passieren zu lassen und mit ihren Zuschauern gemeinsam einen „geilen Abend zu verbringen“, wie es schon in der Anmoderation heißt. Niemand geringerer als der 1934 geborene Francesco Stephen Castelluccio, eigentlich weltweit unter dem Künstlernamen Frankie Valli bekannt, steht an diesen Sommerabenden im Mittelpunkt.
Gerade hierzulande ist dieser Name vielen nämlich kein Begriff und so leuchtet die Frage:
Frankie – wer?!
in vielen Gesichtern des Publikums auf, mit dem von der Bühne aus fleißig interagiert wird. Dass dies jedoch nicht so bleibt und der Aha-Effekt bereits nach den ersten Tönen, die die Gehörgänge der Zuschauer erreichen, mit buchstäblicher Schallgeschwindigkeit einsetzt, dafür wissen die vier Künstler hochmotiviert zu sorgen. Denn Vallis Musik hat viele Herzen berührt, begleitet die Menschen bereits seit Jahrzehnten und begegnet einem nahezu überall. Sogar ins Weltall hat es die Musik bereits geschafft und seit 1990 finden sich „Frankie Valli and The Four Seasons“ auch in der legendären Rock’n’Roll Hall of Fame.
„Oh What a Night“ beschreibt das Leben und Wirken des bekannten Künstlers. Nach einer Idee von Lutz Deisinger, Michael Heller und Christopher Bolam wurde dem Stück, angelehnt an das Erfolgsmusical „Jersey Boys“, Leben eingehaucht. Im ersten Akt erzählt es von den persönlichen Geschichten und Erfahrungen mit der Musik Frankie Vallis, im zweiten wird dessen Erfolgsgeschichte und die seiner Band mit allen Höhe und Tiefen aufgegriffen.
In die Rolle des Falsett-Tenors schlüpft zunächst Daniele Carta Mantiglia. Wie die Wurzeln des Frontmanns der Four Seasons liegen auch seine in Italien und er stieß nicht nur in seiner Wahlheimat London mehr als einmal auf die Problematik, dass kaum jemand in der Lage war, seinen Namen korrekt auszusprechen. Kurzerhand verpasste er sich – genau wie Valli es tat – einen Künstlernamen und ist nun als Daniele Alan-Carter bekannt.
Für diesmal lediglich vierzehn Tage, vom 02.-14. August, übernahm Lorenzo di Girolamo, der bereits in der allerersten Spielzeit der Rolle seinen Stempel aufdrücken durfte, den Part erneut, ehe Daniele Alan-Carter ab morgen bis zum Ende der Spielzeit noch einmal zurückkehrt.
Beide Italiener stehen dem, nicht zuletzt durch seine engelsgleiche Falsettstimme bekannt gewordenen, erfolgreichen, aber auch von tragischem Schicksal gezeichneten Künstler in nichts nach. Überzeugend, sensibel und unfassbar stimmgewaltig wissen sie sowohl in den unglaublichen Höhen als auch in den warmen Tiefen absolut zu überzeugen. Die überwiegend von ihnen gesungenen Songs „My eyes adored you“ und „Fallen Angel“ (gemeinsam mit Sander van Wissen) sorgen für ganz besondere Gänsehautmomente.
Sander van Wissen steht als zweiter Tenor auf der Bühne. Der gebürtige Niederländer gliedert sich bei seinem Show-Debüt perfekt in die Formation ein und gibt durchgehend eine großartige Figur ab. Mit seiner spitzbübischen Art und seinem charmanten Lächeln sorgt er augenblicklich für gute Laune und gibt sogar einer kleinen Spur Erotik Raum. Spätestens bei seinem eindrucksvollen Hip Hop Cover von „Beggin“ liegt ihm das Publikum zu Füßen und lässt ihn zurecht lautstark hochleben.
Als Baritenor übernimmt Christopher Bolam einen weiteren Part. Lediglich in der Premierenshow musste er krankheitsbedingt von Michael Heller vertreten werden. Die von ihm vorgetragene tragisch-komische Geschichte zu „Big Girls don’t cry“, sowie die dazugehörende einfallsreiche Choreographie strapazieren die Lachmuskeln der Zusehenden aufs Äußerste. In Songs wie „Walk like a Man“ oder „Don’t go Baby“ darf auch er dann noch einmal deutlich mehr Stimme und Gefühl zeigen.
Die Rolle des Basses übernahmen nacheinander Paul Robert „Britney Spears“ Gerittsen und Julian „Shakira Gloria Estefan Jennifer López“ Quijano, die beide bereits in der letzten Spielzeit brillierten. Abgelöst wurden sie durch Oh What a Night- Neuling Robert Henry „Lady Gaga“ Lankester. Drei Künstler, die unterschiedlicher kaum sein könnten und trotzdem oder gerade deshalb in der ihnen angedachten Rolle aufgehen. Überzeugend erzählen sie vom ersten Treffen mit ihrem Traummann, das während eines Auftritts auf einer Familienfeier stattfand. Das viel gecoverte „The sun ain’t gonna shine anymore“ gab den Auslöser für seinen „Meister Propper“, den ersten Schritt zu wagen und den Sänger eines Besseren zu belehren. Selbiges Lied ist nämlich nicht wie vom Protagonisten angekündigt im Original von Popikone Cher, sondern – wer ahnt es – natürlich von Frankie Valli.
Mit „Can’t take my eyes off of you“, Vallis wohl bekanntestem Hit, der weltweit von mehr als 200 Interpreten gecovert, in über 35 Sprachen übersetzt und der sogar bei der NASA Spaceshuttle Mission Endevour STS 126 als wake-up-call in den Orbit geschickt wurde, endet der erste Akt mit mehr als nur einem Ohrwurm.
Im zweiten Teil der Show geht es um die Geschichte der Band, die ihren Namen unzählige Male wechselte, bis sie als „Frankie Valli and the Four Seasons“ Musikgeschichte schrieb und einen Welthit nach dem anderen produzierte.
Zunächst nur als Trio unterwegs, stieß Valli im Jahr 1960 in einer Bar zu ihnen. Gemeinsames Trinken, Feiern, Jammen und schließlich ein Einstieg in die Band waren Lichtblicke im Leben des Migrantensohnes aus New Jersey. Der nur mit einem Handschlag besiegelte Vertrag zwischen ihm und Bob Gaudio brachte quasi über Nacht Berühmtheit und hielt über viele Jahrzehnte. Unzählige Nummer 1 Hits in zahlreichen Ländern waren Belohnung für die jahrelange harte Arbeit. Der Preis für den Kopf der Band war dafür aber umso höher. Neben drei Scheidungen hatte Valli auch noch den Verlust zweier seiner Kinder, beide starben 1980 im Abstand von nur einem halben Jahr, zu verkraften. Bis in die frühen 80er Jahre produzierte die Gruppe gemeinsam Welthits, doch der typische amerikanische Albtraum von Erfolg und Misserfolg („The higher you get, the deeper you fall“) zeigte auch hier seine Klauen. Er mündete, nachdem ein Mitglied nach dem anderen austrat, im Zerfall der Band, bis Valli schließlich allein dastand. Auch spätere Versuche, noch einmal an alte Erfolge anzuknüpfen, scheiterten. Heute steht Frankie Valli (88) bemerkenswerter Weise immer noch als gefeierter Solokünstler auf der Bühne.
Wem das zu viel Theorie und platte Musikgeschichte scheint, dem sei gesagt, dass dies mitnichten so ist. Verpackt wird jedes Geschehen in einen Song, der genau auf den Hintergrund zu passen scheint. Eine emotionale Achterbahnfahrt wird über die gesamten zwei Stunden Spielzeit gekonnt in der Waage gehalten. Lachtränen wechseln mit Beklommenheit, Stille wechselt mit vielen Mitsingmomenten und die Interaktion mit dem Publikum fügt sich perfekt ein.
Im Jahr 2005 erschien das hochdekorierte Erfolgsmusical „Jersey Boys“ (Drama Desk Award, Tony Award, Grammy Award und Laurence Oliver Award) und feiert bis heute rauschende Erfolge. Nicht nur am Broadway begeistert es seine Zuschauer. Auch in anderen Ländern, wie Schweden, England, Australien, Südafrika oder den Niederlanden, wird es auf die Bühne gebracht. Also in fast allen großen Musicalmetropolen dieser Welt – außer in Deutschland. Und um das zu ändern und der fantastischen Musik eine Bühne zu bieten, wagen Heller und Bolam mit ihrer Show den ersten Schritt.
2014 wagte sich Clint Eastwood an eine Filmadaption des Musical-Klassikers, der weltweit die Kinosäle füllt – sogar in Deutschland.
Spätestens bei Songs wie „December 1963 – Oh What a Night“, „Sherry“, „Working my way back to you“ oder auch „Grease“ wird jedem Zweifler klar, dass ihm zwar der Name des Stars des Abends kein Begriff ist, aber er oder sie wohl ziemlich sicher schon einmal auf dem Dancefloor zu seinen Hits getanzt, geknutscht, Körperflüssigkeiten getauscht, oder auch gefühlssteigernde Substanzen konsumiert hat, wenn nicht sogar mehreres davon zeitgleich.
Auch wenn vielleicht die Generation, die die „Four Seasons“ noch als Newcomerband im Radio oder auf Schallplatten (A- und B-Seite!) gehört hat, längst nicht mehr das Tanzparkett unsicher macht, so schenkt Frankie Vallis Musik den Menschen bis heute ein gutes Gefühl und verbindet. Der „feel-good-Pop“ ist zeitlos und findet immer noch unzählige neue Fans.
Mit „Oh What a night“ gelingt dem Team um Michael Heller und Christopher Bolam (gibt es hier vielleicht Ähnlichkeiten zu Valli und Gaudio?) etwas Wunderbares. Eine musikalische Reise in die 60er Jahre, die zu keiner Zeit langweilig oder antiquiert wirkt. Im Gegenteil. Witz, Charme und viele Ohrwürmer sind ein Garant dafür, dass das Publikum das Spiegelzelt mit guter Laune, einem Lächeln auf den Lippen und womöglich längst vergessen geglaubten Erinnerungen verlässt.
Bei der Auswahl seiner Cast hat Heller ein sehr glückliches Händchen bewiesen. Jede Rolle ist perfekt besetzt, die Stimmen, egal wer gerade auf der Bühne steht, harmonieren großartig miteinander und auch die Chemie zwischen den Künstlern auf der Bühne stimmt. Die Gute Laune greift nicht umsonst nahezu ab dem ersten Ton auf die bis zu 274 Zuschauer über.
Die Choreografien wirken für den doch sehr begrenzten Raum, den die Bühne hier bietet, weder hölzern noch zu knapp. Im Gegenteil, es ist ein Augenschmaus zu entdecken, was sich Christopher Bolam und Michael Heller für sich selbst und ihre Kollegen ausgedacht haben. Nicht nur einmal fühlt sich das Publikum animiert im Takt zu klatschen, zu wippen oder gar aufzustehen und mitzutanzen oder zu singen. Musikalisch bestens untermalt wird der Abend von einer fantastischen Band unter der Leitung von Micky Bister.
Auf die Frage der Protagonisten “Wer von Ihnen hat diesen Namen noch nie zuvor gehört?”, melden sich immer weniger Zuschauer. Einfacher Grund: Es gibt immer mehr Wiederholungstäter, die die Show während der bisherigen drei Spielzeiten mehr als nur einmal gesehen haben. “Oh What a Night” lädt noch bis zum 21.08. alle Interessierten ein, den Weltstar und seine Hits kennenzulernen und hautnah zu erleben, was es heißt seine Musik zu hören, zu atmen und zu fühlen. Eines können wir versichern: Am Ende dieser Show wird niemand den Namen Frankie Valli je wieder vergessen.
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Weiterführende Informationen:
Bar jeder Vernunft
Michael Heller
Christopher Bolam
Daniele Alan-Carter
Lorenzo di Girolamo
Sander van Wissen
Paul Gerritsen
Julian Quijano
Robert Lankester