Thrill Me!

Die Leopold und Loeb Story

 

 

Der 2017 gegründete Verein OFFstage Germany hat es sich auf die Fahnen geschrieben, Off-Musicals in Deutschland einen Raum zu geben. Zu erschwinglichen Preisen werden Stücke etabliert, die an großen Häusern leider nur wenig Chancen haben Fuß zu fassen, jedoch an Qualität und Inhalt den populären Produktionen in nichts nachstehen. Im Ausland ist dies schon lange Gang und Gäbe, doch hierzulande ist es beinahe ein Novum, diese Stücke zu zeigen und dem interessierten Publikum in der Landessprache zugänglich zu machen.

Sein Debüt gab der gemeinnützige Verein 2018 in Berlin und Hamburg mit „Thrill Me“, dem Musical-Thriller aus der Feder von Stephen Dolginoff aus dem Jahre 2003, welches seine deutschsprachige Uraufführung im Jahr 2015 feierte. Die Geschichte um die Chicago Thrill Killers, die 1924 ihr Unwesen trieben, entstand nach einer wahren Begebenheit und wurde in zahllose Sprachen übersetzt. Seither begeistert das Stück Musicalliebhaber aus der ganzen Welt. Regisseur Michael Heller inszeniert diesen durchaus schwierigen Stoff mit außerordentlich viel Feingefühl und bringt damit ein kleines Meisterwerk auf die Bühne.

(c) OFFstage Germany

Nach dem Erfolg „Altar Boyz“ nimmt Offstage sein Pilotprojekt nun wieder auf und gastiert für zwei Vorstellungen am Theater Solingen. Hatten sich die Rollen des Nathan Leopold und Richard Loeb zunächst Kevin Köhler und Gerrit Hericks geteilt, so schlüpft Michael Heller in Solingen erstmals selbst in die Rolle des Richard. Dabei werden die beiden Darsteller von Lidia Kalendareva am Flügel begleitet.

Die Geschichte beginnt 1958 in einem Gefängnis, in welchem ein Mann mittleren Alters um Begnadigung bittet. Er sieht seine Schuld als abgegolten, niemandem wird mehr ein Leid geschehen. Rückblenden entführen das Publikum in die Zeit 34 Jahre zuvor, in welcher sich Dinge ereigneten, die der Stoff, aus dem Verbrecherträume sind, zu sein scheinen. Nathan Leopold und Richard Loeb sind zwei junge Jurastudenten, die ihr Leben noch vor sich haben. Beide plagt eine Besessenheit, die sie ausleben müssen, die sie wie die Luft zum Atmen brauchen – und beide suchen ebenso den Kick im Leben. Für jeden von ihnen bedeutet das etwas anderes, doch sind ihre Schicksale unweigerlich miteinander verwoben. Ist Richard besessen davon, zunächst kleine, dann immer größere Verbrechen zu begehen, so liegt Nathans Besessenheit an ganz anderer Stelle. Er vergöttert seinen Freund und würde, um mit ihm zusammen zu sein, ihn exklusiv zu haben, einfach alles tun. Sie schließen einen mit Blut besiegelten Pakt, der sie für immer aneinander bindet.

Die beiden überdurchschnittlich intelligenten jungen Männer, die sich mit Nietzsche identifizieren und selbst als „Übermenschen“ sehen, kommen mit ihren kriminellen Machenschaften stets davon. Allerdings nur so lange, bis Richard Einbrüche und Brandstiftungen nicht mehr genügen und er das perfekte Verbrechen plant. Ein Mord soll es sein, am liebsten an seinem verhassten Bruder John. Nathan kann ihn von letzterem zwar gerade noch abhalten, es bleibt aber die Idee, einem Kind das Leben zu nehmen und Lösegeld zu erpressen, auch weiterhin bestehen. Richard entführt und tötet den 12jährigen Bobby, einen Jungen aus der Nachbarschaft, während Nathan für das Verwischen der Spuren verantwortlich ist. Einem Missgeschick geschuldet führt der Weg der Polizei jedoch zu Leopold und er gesteht, als sich seine Liebe von ihm abwendet. Mehr noch, er zieht den Partner mit in die Verantwortung. Nach ihrer Verhaftung sorgt Leopolds Vater für den besten mit Geld zu bezahlenden Anwalt, Clarence Darrow, der in einem zwölfstündigen, ergreifenden Plädoyer dafür sorgt, dass die Todesstrafe für beide in eine lebenslängliche Haft plus 99 Jahre abgewendet wird.

(c) OFFstage Germany

Selbige werden sie in der gleichen Zelle verbringen, womit Nathan am Ende mit seiner Obsession zu siegen scheint. Er wird Richard auf alle Zeit für sich allein haben. Dieser wird allerdings nur einige Jahre nach ihrer Inhaftierung von einem Mitinsassen ermordet, so dass Nathan nach 34 Jahren auf Begnadigung hofft und am Ende freikommt.

Das Bühnenbild für diese hochdramatische Geschichte ist einfach und dennoch mehr als ausreichend. Ein multifunktionaler drehbarer Würfel steht im Zentrum des Geschehens und dient je nach Bedarf als Lampe für ein Verhör, als Ausguck oder auch als Zimmer. Wenige Requisiten, dafür pure Präsenz der beiden Bühnenaktiven und eine eindringliche Lichtstimmung genügen vollkommen, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Die Lichtstimmung, gepaart mit dem eindringlichen, fast verzweifelt wirkenden Schauspiel, mit dem die Künstler ihre Figuren lebendig werden lassen, treibt einem die Gänsehaut über den gesamten Körper.  Kevin Köhler und Michael Heller harmonieren als Gangsterpaar nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch hervorragend. Stephen Dolginoffs wunderschöne Musik steht im krassen Gegensatz zum verstörenden Thema des Stückes und stellt die Darsteller vor die Herausforderung, trotz oder gerade wegen dieser, Brücken zu den Dialogen und dem damit düsteren Geschehen zu schlagen und die Geschichte schaurig und lebendig zu transportieren.

Es braucht also nicht viel, um „Thrill Me“, für dessen deutsche Übersetzung Bernd Julius Arends verantwortlich zeichnet, zu einem Erlebnis werden zu lassen, welches alle Anwesenden so schnell nicht wieder vergessen werden. Vor ausverkauftem Haus spinnen Michael Heller und Kevin Köhler ihre schrecklich real wirkenden Intrigen, man vergisst gänzlich die beiden smarten, sympathischen Männer hinter den Rollen der psychopathischen Chicago Thrill Killers, und sie ziehen das Publikum in ihren Bann. Doch Schauspiel und Gesang wären nichts ohne die beeindruckende musikalische Untermalung der Szenen. Lidia Kalendareva ist eine Meisterin ihrer Kunst und weiß ihrem Flügel die eindringlichen, beklemmenden, zum Teil beinahe grausamen Töne zu entlocken, und die ohnehin sehr angespannte Stimmung weiter aufrecht zu erhalten.

(c) OFFstage Germany

„Thrill Me“ ist keine leichte Kost, keine Unterhaltung für nebenbei und sicher nichts, was sich so schnell abschütteln lässt. Es fasziniert, wie kleine Gesten, die pure ehrliche Mimik Kevin Köhlers und Michael Hellers sowie der geschickte Einsatz des sparsamen, aber zweckmäßigen Bühnenbildes, getragen von der hervorragenden musikalischen Untermalung genügen, um das Publikum zu fesseln, gar zu reizen und diesem das beklemmende Gefühl zu vermitteln, Zeuge von etwas Verbotenem zu sein. Auch wenn mit Applaus zwischen den Szenen und Songs gespart wird, weil niemand wagt, das Spiel zu unterbrechen und das atemberaubende Entsetzen über den Inhalt die Begeisterung in Schach hält, weiß das Stück dennoch zu begeistern und zu Recht erhalten die Künstler ihre langanhaltenden stehenden Ovationen zum Ende.

Stoff wie dieser eignen sich nicht, um große Häuser auf Dauer zu füllen. Dennoch braucht es diese Art Geschichten, um eine Nische in der Nische Musical zu bedienen und zu befriedigen. Schade ist, dass nach nur zwei Vorstellungen bereits wieder Schluss ist und es bleibt die vage Hoffnung, dass Offstage seine Fans erhört und das Stück nicht weitere drei Jahre in der Schublade lässt, ehe es erneut zur Aufführung kommt. Erfreulich ist die Nachricht, dass bereits an einer deutschsprachigen CD gearbeitet wird, was zumindest ein kleiner Trost ist, auch wenn es dem realen Erleben nicht einmal nahekommen wird.

 

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Weiterführende Links:

Theater und Konzerthaus Solingen
OFFstage Germany
Michael Heller
Kevin Köhler
Lidia Kalendereva
Stephen Dolginoff
Bernd Julius Arends

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