Zeppelin – Das Musical
Naturkatastrophen, Unglücke, Dramen, große Gefühle und Leidenschaft bis hin zur Besessenheit. Oft sind es die großen und vor allem unerwarteten Ereignisse, die die Menschen faszinieren und ihnen auch Jahre später im Gedächtnis bleiben. Verknüpft sind diese Ereignisse stets mit Personen, deren Schicksal eng mit dem Geschehen verwoben ist.
Es sind nicht nur Namen, Zahlen, Daten und Überlieferungen, die die Menschen bewegen, sondern auch dieses ganz spezielle Gefühl, ein Kribbeln, wenn Berichte vergangene Zeiten lebendig werden lassen.
Viele Musicalmacher nehmen sich neben den Fakten auch dieses spezielle Gefühl zur Vorlage und konstruieren aus historischen Überlieferungen, geschichtsträchtigen Ereignissen und mit viel eigenem Herzblut und Kreativität ein Abbild des Geschehenen, indem sie die Geschichte mit ihren eigenen Worten und Figuren ausschmücken und erneut zum Leben erwachen lassen.
Komponist Ralph Siegel hat die Herausforderung, aus einem historischen Stoff ein großes Musical zu komponieren, angenommen. Mit weit über 2000 veröffentlichten Titeln in über vier Jahrzehnten ist Siegel, der als Schlagerkönig bekannt ist, in der deutschen Musikbranche kein unbeschriebenes Blatt, doch das Genre Musical ist auch für den inzwischen 76-Jährigen eine neue Herausforderung. Eine Herausforderung, die er zweifelsohne mit Bravour bezwungen hat. Sein Traum war es, ein Musical über den Grafen Zeppelin, der als Pionier der Luftschifffahrt gilt, zu schreiben und auf die Bühne zu bringen. Nach fünf Jahren harter Arbeit und einigen unerwarteten, aber inzwischen überwundenen Turbulenzen und Startschwierigkeiten wurde dieser Traum im Oktober 2021 Realität.
Und nicht nur das, die Geschichte, die Komponist Siegel und sein Autor Hans Dieter Schreeb (83) erzählen, wird zum beinahe vierstündigen Epos, das seinesgleichen sucht, kurzum ein voller Erfolg für alle Beteiligten.
Im Festspielhaus Neuschwanstein werden alle Register gezogen. Bühnenbild, Choreografie und Kostüme sind ebenso passend und vielfältig wie die Klänge aus dem Orchestergraben und die überragende Schauspielleistung der vielköpfigen, hochkarätig besetzten Cast.
Unter eingängiger Musik wird zunächst ein Blick auf die Kindheit- und Jugendjahre des Grafen (Jörg-Tim Wilhelm/ Patrick Stanke) und der Familie Zeppelin geworfen. Behütet aufgewachsen hängt der junge Adlige schon früh seinen ganz eigenen Träumen vom Fliegen nach, doch wird recht unsanft in der Seidenfärberei eines Onkels mit der Realität konfrontiert. Armut, Hunger und harte Arbeit stehen hier im Vordergrund, auch wenn die Menschen ihm freundlich und wohlgesonnen gegenübertreten.
Mit der Zeit werden diverse Meilensteine Zeppelins beleuchtet. Begonnen bei der militärischen Ausbildung und Kriegseinsatz, bei denen er von seinem Vater (Uwe Kröger) Mut zugesprochen bekommt und angespornt wird, seine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Das Kennenlernen seiner zukünftigen Frau und Gräfin von Zeppelin, Isabella (Stefanie Gröning), stellt ebenso einen wichtigen Abschnitt dar wie die gemeinsamen Visionen des fortschrittlichen Paares. Ihr Ziel, ein Fahrzeug zu bauen, welches durch die Luft gleitet wie ein Schiff durchs Wasser, kostet viel Zeit, Aufwand und vor allem verschlingt es ein Vermögen. Der erste Erfolg zeigt sich, als ein solches Luftschiff, LZ 1, nach zehn Jahren intensiver Beschäftigung mit der Thematik und dem Bau 1900 seinen Jungfernflug über dem Bodensee hat. Hier tritt auch Dr. Hugo Eckener (Sigmar Solbach), einer der engsten Vertrauten und Nachfolger Zeppelins, zu Tage und erstattet Bericht über das Ballonfahrzeug, welches mit fast 11 Km/h durch die Luft gleitet und dabei fünf Personen und 350 Kilogramm Ballast befördert, bis es nach kurzem Jungfernflug eine Notlandung auf dem Wasser machen muss. Die Erfüllung dieses Traums beflügelt die Familie Zeppelin und bringt eine Menge positiver Resonanz in der Presse. Eine Goldlotterie mit Spenden der Bevölkerung ermöglicht weitere Forschung und Entwicklung. Diese lässt das zigarrenförmige Luftfahrzeug über die folgenden Jahre sicherer werden und sich ab 1909 zu einem populären zivilen Reisemittel entwickeln.
Die Begeisterung zeigt sich nicht nur bei den Reisenden, sondern auch bei den zahllosen Arbeitern, die in den Werken dazu beitragen, eine Flotte Luftschiffe zu bauen.
Ungebrochen ist die Liebe des Grafenehepaars, so ist der Verlust Isabellas schmerzlich, als Zeppelin am 8. März 1917 im Alter von 79 Jahren stirbt.
Der Geschichte des Grafen gegenüber steht jene der letzten Fahrt des Luftschiffes LZ 129 – Hindenburg. Hier werden zunächst Crew und Passagiere vorgestellt. Darunter befinden sich unter anderem die Wiener Sängerin Emmy Berg (Tanja Petrasek), die im späteren Verlauf für ihr vorlautes Mundwerk auf dem Luftschiff inhaftiert wird, der Pianist Paul Stiller (Mathias Edenborn), der die Gäste der Hindenburg musikalisch unterhält, sowie Jean Pierre (Michael Thurner), der Patissier, der eigentlich nur nach Amerika möchte, um endlich seine schwangere Freundin wieder in die Arme zu schließen.
Zu den Fluggästen gehören das Paar Lilli van Hoeven (Josefien Kleverlaan) und Dr. Lutz Grivius (Hannes Staffler), die als bekannte Schauspielerin der UfA und Vorstandsmitglied der UfA sowie Justiziar auf dem Weg sind, um in Hollywood Karriere zu machen. Außerdem ist der Artist Ben Dover (Claus Kupreit) an Bord, Sigge Caspar Ecklund (Mave O’Rick) aus Schweden möchte seine Staubsauger populär machen und die wohlhabende Familie Cagney (Kevin Tarte und Stefanie Kock) gönnt sich ebenso eine Reise nach Amerika wie die Journalistin Cathy Wigman (Holly Hylton), die es zurück in die Heimat zieht, und die Pferdezüchterin Hannah Keller (Kristin Backes), die sich eine neue Existenz aufbauen möchte. Gesteuert wir das Luftschiff von Flugkapitän Max Russ (Alexander Kerbst).
Die Geschichten der Reisenden verweben sich zu innigen Freundschaften, Intrigen, Streit, Intoleranz und neuen Liebeleien sowie Sehnsüchten. Auf dem mehrtägigen Flug lernen sich die Gäste untereinander kennen und vertreiben sich gemeinsam die Zeit. So erfährt man mit der Zeit, dass das Leben Hannah Kellers nicht allzu rosig aussieht, da ihr Mann Werner schwer erkrankt ist und die Pferdezucht nicht mehr viel abwirft. Sie spielt mit dem Gedanken, sich eine neue Existenz aufzubauen und stürzt in tiefe Trauer, als die Nachricht, ihr Mann habe eine Operation nicht überlebt, sie ereilt. Die Wiener Sängerin Emmy hält nicht mit ihren Ansichten hinterm Berg und provoziert mit ihrer Kunst. Dies lässt Lutz Grivius, der einige Fürsprecher findet, die seine rechte Gesinnung teilen, nicht auf sich sitzen und erwirkt eine Inhaftierung der Künstlerin. Unterdessen entfremdet sich seine Frau Lilly von ihm und fühlt sich zu dem charmanten Pianisten Paul hingezogen, mit dem sie nach nur kurzer Zeit eine Affäre beginnt. Die Journalistin Cathy ist eine gestandene Frau, die sich nicht so leicht aus der Bahn werfen lässt und freundet sich mit diversen Gästen an. Die Sympathien scheinen ihr zuzufliegen. Es stellt sich heraus, dass zu Hause niemand auf sie wartet, doch sie ihren geschiedenen Mann noch immer vermisst.
Die Aufregung der Fluggäste wird stets größer, je näher sie ihrem Ziel kommen. Am Tag der Landung schlägt das Wetter um und Kapitän Russ entscheidet vorerst abzudrehen und abzuwarten, ob sich die Lage beruhigt. Unterdessen warten Journalisten, Angehörige und Schaulustige in Lakehurst, New Jersey, auf die Landung des Luftschiffs Hindenburg. Die verzögerte Landung lässt nicht nur die Wartenden, sondern auch die Passagiere unruhig werden und Diskussionen darüber, ob eine Landung sicher ist, entbrennen. Die Lage spitzt sich zu, die Anspannung wächst und schließlich erhellt ein Feuerball die Bühne. Das Entsetzen der Wartenden am Boden und der Überlebenden an Bord der Hindenburg werden greifbar und lassen den Zuschauer für einen Moment atemlos zurück.
Mit einem sehr ergreifenden „Wo führt der Weg uns hin“, endet ein Feuerwerk für alle Sinne.
Die Geschichten um Graf Zeppelin und die letzte Fahrt mit tragischem Ausgang der LZ 129 sind eng miteinander verwoben. Obwohl das Stück beinahe vier Stunden lang ist, wird es zu keiner Zeit langweilig und die Spannung immer wieder aufrecht erhalten. Die Überblenden und Zeitsprünge sind gut sichtbar und logisch nachvollziehbar. Gesanglich weiß jedes einzelne Castmitglied absolut zu überzeugen. Die Hauptrolle teilen sich Tim-Jörg Wilhelm, der den jungen Grafen verkörpert, und Patrick Stanke, der den gesetzten Zeppelin bis zu dessen Tod spielt und mit „Ich hab gelebt“ große Beifallsstürme erntet.
Hannes Staffler als Lutz Grivius stellt den Antagonisten im gesamten Stück dar. Beinahe ist man geneigt, ihn und seine Ansichten zu verabscheuen. Die schauspielerische Leistung dieses unsympathischen Charakters gelingt ihm hervorragend, auch wenn man am Ende nicht traurig darüber ist, dass er sich nicht offensichtlich zu den Überlebenden gesellt.
Besonders stark und nachhaltig beeindruckend ist das Frauenquartett „Immer Noch“, welches von verlorener, erhoffter und gelebter Liebe spricht und von Tanja Petrasek, Holly Hylton, Kristin Backes und Josefien Kleverlaan dargeboten wird.
Ein Besuch beim Musical Zeppelin ist ein Genuss für Gäste jeden Alters. Große Orchesterklänge, dirigiert von Dr. Konstantinos Kalogeropoulos, sind ein Ohrenschmaus. Das Bühnenbild ist einfallsreich und die große Bühne ist zu jeder Zeit voll genutzt. Das integrierte Wasserbecken kommt bei der Notlandung auf dem Bodensee , als die Entwicklungsphase thematisiert wird, zum Einsatz und sorgt für tolle visuelle Effekte. Begeistert zeigt sich das Publikum auch von jenem Luftschiff, welches bei „Die Hindenburg“ im ersten Akt sogar eine Runde durchs Publikum dreht. Vielfältige Melodien mit zum Teil Ohrwurmcharakter bleiben auch nach dem verdienten langen Schlussapplaus erhalten.
Positiv zu erwähnen ist, dass es bereits zur Premiere im November eine Doppel-CD sowie ausführliches Programmheft und eine Vielzahl anderer Merchendising-Artikel gegeben hat, die eine schöne Erinnerung für die Besucher darstellen. Noch an diesem Wochenende nimmt die Hindenburg im Festspielhaus Neuschwanstein Fahrt auf, ehe sie bis 2023 anderen Stücken Platz macht. leibt zu hoffen, dass dieses Meisterwerk während dieser und auch in den kommenden Spielzeiten noch viele Besucher begeistern darf und Siegels Lebenswerk damit gewürdigt werden kann.
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