Hairspray
…am Theater Bonn
Premiere: 20.10.2024
„Good morning Baltimore“: Am Theater Bonn grassieren seit Ende Oktober Hairspray-Fieber, jede Menge Spaß, hoch toupierte Turmfrisuren und ein Haufen Glitzer. Allerdings geht Regisseur Erik Petersen mit seiner überaus gelungenen Inszenierung einen etwas anderen Weg als frühere Produktionen, die sich oft an der eher humoristischen, schrillen, leicht überdrehten und das ernste Thema ein wenig in den Hintergrund drängenden originalen Filmvorlage von John Waters orientieren. Einfühlsam und charmant gelingt es Petersen, die gesellschaftlichen Themen des Stücks – Rassismus, Body Positivity und Individualität – in den Vordergrund zu rücken und mit dem notwendigen Ernst zu beleuchten, ohne dass ihm dabei der Humor des Stückes verloren geht. Sei wie du bist, gehe deinen Weg und lasse dich von nichts und niemandem davon abhalten deinen Traum zu leben – so die Botschaft dieser Inszenierung.
Baltimore im Jahr 1962: Schülerin Tracy Turnblad ist übergewichtig und lebt sehr zurückgezogen mit ihrer ebenso übergewichtigen Mutter Edna, die auf Grund ihrer Figurprobleme ihre Träume und Hoffnungen nie ausgelebt hat und nun für andere Wäsche wäscht und bügelt, und ihrem Vater Wilbur, der einen schlecht laufenden Scherzartikelladen betreibt. Ihr größter Traum ist es, in der bekannten und angesagten Corny-Collins-Show beim großen Tanzwettbewerb mitzutanzen. Allerdings findet man dort nur die hübschesten und beliebtesten Teenager der Stadt. Während ihr Vater ihr Mut macht, ihre Träume trotz ihrer Körperfülle zu verwirklichen, ist ihre Mutter skeptisch und möchte ihrer Tochter die Erniedrigung durch Verspottung ihres Aussehens über ein Mitmachverbot ersparen. Tracy lässt sich jedoch nicht aufhalten und geht mit ihrer einzigen echten Freundin, der Außenseiterin Penny Pingleton, die von ihrer Mutter permanent unterdrückt und bevormundet wird, zum Vortanzen. Tracy braucht zwar eine Menge Überzeugungskraft, aber letzten Endes gewinnen ihr Selbstvertrauen und ihre Hartnäckigkeit, sodass sie nicht nur teilnehmen darf, sondern sie auch gerade wegen ihrer Natürlichkeit quasi über Nacht zum Star der Show wird. Zudem verliebt sie sich in den sehr ehrgeizigen jungen Sänger Link Larkin, der sich jedoch zunächst vernunftbedingt lieber der arroganten, aber schlanken und hübschen Amber von Tussle zuwendet. Tracy nutzt ihre neue Berühmtheit, um mit großer Vehemenz eine Kampagne gegen den Ausschluss dunkelhäutiger Menschen aus der Corny-Collins-Show zu starten, was Amber von Tussle und ihre Mutter Velma zu verhindern versuchen, und sorgt nicht nur dadurch für einige Turbulenzen. Allen Rückschlägen zum Trotz bleiben Tracys Positivität und Lebensfreude ungebrochen und am Ende bewirbt sie sich sogar um den Titel der „Miss Teenage Hairspray 1962“.
Wie vom Theater in Bonn nicht anders zu erwarten, stattet Dirk Hofacker die große und geräumige Bühne mit einem gigantischen Bühnenbild aus. Die im Halbrund um den Mittelteil platzierten Elemente sind drehbar und beheimaten eine Einkaufsmeile mit Ednas voll bespielbarer Wäscherei, dem Scherzartikelladen von Wilbur, einem ausgestatteten und ebenfalls bespielbaren Friseursalon mit Stühlen, Hauben und weiteren Kleinutensilien sowie einem Imbiss. Zwar erscheint die riesige Bühne damit sehr voll und wird häufig auch an unterschiedlichen Positionen gleichzeitig bespielt, dennoch strahlt alles die Natürlichkeit des normalen Lebens und eine gewisse Ruhe aus, sodass alle Szenen von allen Seiten des Auditoriums vollends erfasst und verstanden werden können. Den freien Mittelraum nutzt Petersen für die Erschaffung einer Fernsehwelt, die genügend Raum bietet, überdimensioniert mit viel Farbe, Glitter und Glamour hervorzustechen, um so der schrillen und leicht überdrehten Filmvorlage gerecht zu werden. Aufgebaut wird diese Szenerie naturgetreu mit vielen umherfahrenden Kameras sowie einer einfahrbaren Bühne. Das gesamte Bild unterstreicht die authentische und einfühlsame Inszenierung Petersens und wirkt nicht aufgesetzt.
Die Kostüme, ebenfalls von Dirk Hofacker, passen zeitgemäß ins Geschehen, sind hübsch und realistisch gestaltet und unterstreichen ebenso authentisch den lebensnahen Inszenierungsgedanken der Regie. Bunt, schrill und so richtig glamourös wird es erst in den Schlussszenen. Licht- (Boris Kahnert) und Sounddesign (Stephan Mauel) erscheinen nach anfänglichen, kleineren Tonaussetzern im ersten Akt überzeugend und unterstützen das Bühnengeschehen stimmungsgerecht. Sabine Artholds energiegeladene Choreografien schaffen eine wunderbare Verbindung zu dem Geschehen in den jeweiligen Szenen, treiben die Geschichte unterstützend voran, sind toll anzusehen und zeigen die unbändige Spielfreude der gesamten Cast. Das von Jürgen Grimm beschwingt geführte Orchester spielt die mitreißende Musik motivierend auf und trägt die Protagonisten allesamt gefühlvoll und ohne sie zu übertönen durch den Abend.
Voller Leidenschaft für ihren Traum und ihr Verständnis vom Leben zeichnet Antonia Tröstl ihre Tracy Turnblad super sympathisch, äußerst liebenswert, aber auch tiefgründig mit dem Herz am rechten Fleck und zeigt sich stimmgewaltig und sicher in ihren Songs. Im Zusammenspiel mit ihrer einzigen wahren Freundin Penny Pingleton, die herrlich herumwirbelnd und hibbelig von Frederike Zeidler gegeben wird, werden die Szenen humorvoll, schnell und wild. Wie gewohnt wird die Rolle der Edna Turnblad in männlicher Besetzung gespielt und ist Enrico De Pieri wie auf den Leib geschrieben. Auch er wirft, ebenso wie Tröstl, alle Überzeichnungen seiner Rolle über Bord und gibt ihr damit ein sehr menschliches und ehrliches Bild, ohne jedoch den Humor außer Acht zu lassen. Sein Schauspiel ist auf den Punkt, absolut authentisch und zu keiner Minute macht man sich Gedanken darüber, dass er eigentlich in einer Frauenrolle steckt. Einer der Höhepunkte des Abends ist zweifelsohne das Liebesduett „Zeitlos für mich“ mit Mark Weigel in der Rolle des Ehemanns Wilbur Turnblad.
Fin Holzwarts klare und sicher geführte Stimme sowie sein wunderbar akzentuiertes Schauspiel in der Rolle des Möchtegern-Schönlings Link Larkin verführen zum Schmunzeln. Stimmlich wie schauspielerisch großartig, aber natürlich den Rollen folgend, fies mobbend, eklig rassistisch und mit immer einem genervt-erzwungenen freundlichen Lächeln im Gesicht geben sich Kerstin Ibald als Velma van Tussle und ihre Tochter Amber, die von Kara Kemeny verkörpert wird. Ihnen gelingt der Spagat zwischen vorgetäuschter Freundlichkeit und garstiger Fiesheit wunderbar amüsant und absolut glaubwürdig. Und auch Yannick-Muriel Noah darf als fürsorgliche Motormouth Maybelle nicht unerwähnt bleiben. Mit ihrem glockenklaren Opernsopran wird ihre Solo-Nummer zu einem wahren Ohrenschmaus. Auch Matthias Schlung passt wie angegossen in die Rolle des TV-Entertainers und Ausrichters des begehrten Tanzwettbewerbs, Corny Collins. Seine Interpretation der Rolle unterstützt er nicht nur durch seinen klangvollen Gesang perfekt, sondern ebenfalls durch seine überzeugende Mimik und Gestik. Schwungvoll und stimmlich herausragend zeigt sich auch das große Ensemble, was den Genuss für Auge und Ohr zu dieser großartigen Produktion komplettiert.
Regisseur Petersen gelingt mit seiner Inszenierung auch ohne die sonst durchaus üblichen Überzeichnungen eine fantastische, kurzweilige und humorvolle, aber auch ernste und in Teilen nachdenklich stimmende Show. Das Publikum hält dann auch beim endlich groß glitzernden und pompösen Finale nichts mehr auf den Sitzen. Langanhaltender Applaus und stehende Ovationen honorieren ein schönes und eingängiges Musicalerlebnis.
Hairspray läuft am Theater Opernhaus Bonn noch an unterschiedlichen Terminen bis zum 21. April 2025. Karten können an den bekannten Vorverkaufsstellen sowie an der Theaterkasse persönlich oder online erworben werden.
Weiterführende Links:
Theater Bonn
Yannick-Muriel Noah
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