Jesus Christ Superstar – Rockige Offenbarung im Hangar 4

Foto: Jan Windszus Photography
Der diesjährige musikalische Oktober stand ganz im Zeichen von Jesus Christ Superstar. Im Hangar 4 auf dem stillgelegten Flughafen in Berlin Tempelhof wurden insgesamt 14 Vorstellungen der legendären Rockoper gezeigt. Alle Abende waren restlos ausverkauft, und mehr als 1800 Zuschauer pro Abend erlebten ein Spektakel, das in Erinnerung bleibt.
Schon beim Ankommen bietet sich ein phänomenaler Blick über das Tempelhofer Feld, der wunderbar auf den Abend einstimmt und ahnen lässt, dass hier etwas Spektakuläres und Außergewöhnliches bevorsteht.
Vor dem Einlass findet auf dem überdachten Platz vor dem Hangar ein lebendiger Barbetrieb statt, und 45 Minuten vor Beginn gibt es eine kurze Einführung, in der über die Geschichte des Stückes und Andreas Homokis Inszenierung gesprochen wird.
Jesus Christ Superstar, die Rockoper von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Texte), erschien 1970 zunächst als Konzeptalbum, bevor sie 1971 ihre Bühnenpremiere feierte. Das Werk erzählt die letzten sieben Tage im Leben von Jesus von Nazareth – gesehen durch die Augen seines Jüngers Judas Ischariot. Der Konflikt zwischen Glaube, Ruhm, Verrat und Menschlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung: Judas verzweifelt an der Vergötterung Jesu durch das Volk, während Jesus selbst an seiner Rolle und den Erwartungen der Menschen zu zerbrechen droht. Die Geschichte endet mit der Kreuzigung – ohne Auferstehung –, ganz im Sinne der Rockoper als menschliches Drama, nicht als religiöse Erzählung.
Die Zuschauertribünen im Hangar sind steil ansteigend und hufeisenförmig um die ebenerdige Bühne angeordnet, sodass man von überall beste Sicht auf das Geschehen hat. Eine Empore bietet Platz für die Rockband unter der musikalischen Leitung von Koen Shoots.

Foto: Jan Windszus Photography
Andreas Homoki nutzt die Bühne und das gesamte Umfeld bis auf den letzten Zentimeter. Über 350 Freizeittänzer verkörpern das Volk – die Anhänger, Bewunderer und Zweifler Jesu. In jeder Szene und zu jedem Song verstärken sie das Geschehen mit Tanz, Bewegung und Energie, bis sich das Ganze zu einem rauschenden, pulsierenden Spektakel verdichtet. Immer wieder mischt sich die Hauptcast unter die Tanzenden und schafft so das Gefühl einer dichten, atemlosen Masse – jubelnd, zweifelnd, pöbelnd.
Mit dieser Inszenierung ist der Komischen Oper Berlin ein Meisterstück gelungen. Das Stück ist laut, schrill, rockig und wild – und dabei doch emotional ehrlich. Homoki setzt nicht auf Hochglanz und Musical-Glamour, sondern auf die rohe Kraft eines Rockkonzerts: unvorhersehbar, direkt und nachhallend.
Die Besetzung überzeugt durchweg.
Als Jesus Christus steht an diesem Abend Ryan Vona auf der Bühne, der stimmlich alle Register zieht und eine sehr menschliche Interpretation seiner Rolle zeigt. Er wirkt nicht wie eine entrückte Heilsfigur, sondern wie ein Mann, der mit seiner Aufgabe ringt – gefasst, reflektiert und mit spürbarer innerer Zerrissenheit.
Ryan Shaw übernimmt die Rolle des Judas Ischariot und beeindruckt vom ersten Moment an. Sein musikalischer Auftakt mit Heaven on Their Minds ist ein starkes Statement und lässt schon früh Großes erwarten.

Foto: Jan Windszus Photography
Ilay Bal Arslan verkörpert Maria Magdalena und begeistert mit einer Präsenz, die zugleich kraftvoll und zerbrechlich wirkt. Sie verleiht ihrer Rolle viel Gefühl und Tiefe und schafft es, die Verletzlichkeit ihrer Figur auf berührende Weise spürbar zu machen.
Kevin(a) Taylor als Pontius Pilatus ist eine optische und stimmliche Erscheinung, die ihresgleichen sucht. Extravagant, stark und richtungsweisend prägt Taylor mehr als einmal den gesamten Verlauf des Bühnengeschehens.
Auch Oedo Kuipers als Petrus, Dante Sáenz als Simon und Gerd Achilles als Herodes überzeugen in ihren Rollen. Ihre Auftritte sind präzise inszeniert, lebendig und bleiben in Erinnerung.

Foto: Jan Windszus Photography
Ein besonderes Highlight sind die Kostüme von Frank Wilde. Er setzt vorwiegend auf gedeckte Farben und klassische Gewänder, weiß aber an den richtigen Stellen Akzente zu setzen. Jesus ist, obwohl alles andere als unantastbar, komplett in weiß gekleidet, Maria Magdalena erscheint als roter Farbtupfer in einem enganliegenden Kleid, und sowohl Judas als auch Pontius Pilatus glänzen in goldenen Gewändern. Herodes’ purpurner Umhang sorgt zusätzlich für farbliche Abwechslung und Opulenz. Besonders eindrucksvoll wirken die Priester in ihren schwarzen, extravaganten Outfits, die sich düster und bedrohlich von der Masse abheben und bereits erahnen lassen, dass ihre Träger nicht nur Gutes im Schilde führen. Trotz der insgesamt schlichten Grundfarben bleibt jede Figur dank kleiner Details erkennbar individuell – selbst in der riesigen Menge der über 300 Mitwirkenden.
Die Bühne wird von Philipp Stölzl als breiter Laufsteg gestaltet, an dessen Ende eine Treppe zur Empore führt. Doch bespielt wird nicht nur der Laufsteg, sondern die gesamte Fläche am Fuß der Zuschauertribünen. Das Kreuz steht nicht wie bei vielen anderen Inszenierungen mahnend im Zentrum, sondern wird nach dem Beginn des Stückes nach oben gezogen, wo es vor allen Blicken verborgen bleibt, ehe es kurz vor dem Ende noch einmal hell blinkend zum Einsatz kommt.
Die Choreografie von Sommer Ulrickson ist dynamisch, präzise und greift wunderbar in das Gesamtkonzept ein. Ein großes Lob muss an dieser Stelle an Regie und Choreographie gehen, denen es hervorragend gelungen ist, die schiere Menge an Mitwirkenden zu einem überaus beeindruckenden Gesamtbild werden zu lassen.
Mit starken Sound- und Lichteffekten, eindrucksvoller Pyrotechnik und einer beeindruckenden musikalischen Leistung aller Beteiligten zieht die Produktion alle Register. Die Inszenierung ist fulminant und wirkt bis ins kleinste Detail durchdacht.
Mit Jesus Christ Superstar ist der Komischen Oper Berlin ein spektakuläres Experiment zwischen Musiktheater und Rockshow gelungen. Die Produktion ist ein leidenschaftliches, packendes Gesamtkunstwerk – roh, ehrlich und unvergesslich. Ganz großes Theater, das noch lange nachhallt.
#amonea #amonealive #musical #berlin #komischeoper #rockoper #musiktheater #jesuschristsuperstar #allesaussergewoehnlich #hangar4 #flughafentempelhof #ryanvona #ryanshaw #ilaybalarslan #kevinataylor #oedokuipers #ludique #martinmulders #dantesaenz #gerdachilles #robertlankester #andreashomoki #koenschoots
Weiterführende Links:
