Interview mit Kevin Tarte (30.06.2018 in Tecklenburg)
“Erfolg ist eine Treppe, keine Tür”
Eine Woche nach der Premiere des diesjährigen Erfolgsmusicals Les Miserables, welches auf der Freilichtbühne im beschaulichen Tecklenburg läuft, hatte ich die Ehre, Kevin Tarte, welcher den Javert dort verkörpert, zu einem Interview zu treffen. Gut gelaunt plauderte er über den Sommer hier am Ort, Winter in Alaska und seine Sicht auf das Leben.
Mit einer Hauptrolle in dem auf einem Roman von Victor Hugo basierenden Stück geht ein Jahre gehegter Traum für ihn in Erfüllung. Ungläubig erzählt er, „Nach der Premiere saß ich mit meinem Cousin zusammen und habe immer wieder gesagt, ‚Ich habe Javert gespielt – Ich habe Javert gespielt‘. Es war einfach unfassbar für mich.“ Als Künstler, und dies sei er leidenschaftlich mit Leib und Seele, strebe man immer an, sein Portfolio zu erweitern. „Les Miserables war schon immer eine Show, die ich gern spielen wollte und als jetzt diese Gelegenheit kam, habe ich mich riesig gefreut. Das ist einfach super!“
Viele Künstler kommen gerne nach Tecklenburg, um in den Sommermonaten dort zu arbeiten. Sie alle sind sich einig, dass es hier ein ganz besonderes Flair gibt. Auf meine Frage, was ihn denn an der Arbeit in diesem malerischen Ort reize, ist seine Antwort sehr spontan. „Was mich an Tecklenburg reizt ist an erster Stelle die Qualität von dem, was geboten– bzw. vom Niveau, auf dem hier gearbeitet wird. Es gibt sehr viele Festspiele an unterschiedlichen Orten, aber hier ist Anspruch an künstlerische Qualität und Können wirklich sehr hoch. Trotzdem wird auch weiterhin ein sehr familiäres Gefühl vermittelt. Was hier in den letzten 18 Jahren auf die Beine gestellt wurde zeichnet sich aus, der fantastische Ruf kommt durch viel Leidenschaft, Können und Wollen. Die wollen hier was wirklich Tolles machen und hinzu kommt, dass es sehr schön und gemütlich hier ist – einfach eine freundliche Atmosphäre. Das alles ergänzt es, aber was mir wirklich am Herzen liegt ist die Qualität und das Niveau was hier geboten wird.“
Kurze Zeit später verlassen wir Tecklenburg gedanklich und machen einen Abstecher in die Vergangenheit Kevin Tartes, die nicht minder interessant ist, als seine Gegenwart. Bei meiner Recherche in Vorbereitung auf das Gespräch bin ich auf den äußerst interessanten Umstand gestoßen, dass er vor seiner Ausbildung, um sein Studium zu finanzieren, drei Winter in einer Buchhandlung in Alaska gearbeitet hat und mich interessiert wie es dazu kam. Sein Vater habe ihm den Job über mehrere Ecken besorgt, erzählt er. Er sei ein sehr vorausschauender Mensch gewesen, und auch als Kevin selbst noch nicht gewusst hat, welche seiner zwei seinerzeit präferierten Richtungen, Musik oder Architektur, er einschlagen solle, sei es darum gegangen, ein solides Einkommen zu erwirtschaften. „Eigentlich wollte ich fürs Studium schon immer nach Europa gehen.“, wirft er ein. „Man kann während der Sommermonate am Polarkreis nicht arbeiten.“ Während sechs Sommern habe er an der Seattle Opera im Chor für das „Wagner Ring Festival“ gesungen. „Darum hatte ich da frei und habe diese Chance dann genutzt. Gesungen haben wir dann „Götterdämmerung“ und dabei habe ich dann gesehen, wie diese Wagnersänger sich verhalten, wie sie ohne Mikro singen, in diesen großen Theatern, mit riesigen Orchestern. Das hat mich extrem beeindruckt und ebenso beeinflusst. Da habe ich gesehen, was es heißt ein Sänger zu sein, nur mit dem Körper, so viel Energie, so viel Stimme aufzubauen. Das hat mich total interessiert, und so fokussiert, dass ich das unbedingt machen wollte.“ Sein Weg führte ihn dann zunächst nach New York an die „Eastman school of music“, wo er seine Ausbildung mit Hilfe eines Stipendiums und dem in Alaska angesparten Geld finanzierte. Privatkonservatorien in Amerika seien sehr teuer, erfahre ich. Man müsse entweder Glück haben und ein Stipendium bekommen, oder den Betrag selbst aufbringen, da es keine staatlichen Fördermittel gäbe.
Die Sommer, die er an die Seattle Opera zurückkehrte, sieht er rückblickend als eine Art Probezeit, denn ursprünglich habe sein Herz eher für die Architektur geschlagen. Sein Pate sei selbst Architekt gewesen und habe ihn hin und wieder mit ins Büro genommen, um ihm den Beruf ein wenig näher zu bringen. Doch am Ende siegte seine Leidenschaft für die Musik. „Ich hätte ein ganz anderes Leben gehabt, bestimmt auch ein schönes Leben, aber die Wahl war die richtige.“, ist er überzeugt.
Seit 1988 ist Deutschland die Wahlheimat Kevin Tartes. Bereits mit 15 Jahren wusste er, dass er nicht in Amerika leben möchte. Er sei auch in Amerika viel gereist, habe die Westküste von Alaska bis nach Mexiko gesehen, und auch die Ostküste nicht ausgelassen. Im Nordwesten ist er aufgewachsen und fand den Reiz schließlich doch in der Fremde. „Europa war für mich einfach faszinierend. Die ganze Kultur, die Geschichte, die Sprachen, alles bei einander liegend… Ich wollte das alles sehen, all die Länder bereisen. Es täte mir sehr leid, hätte ich all das hier nie gesehen und kennengelernt.“, schwärmt er. Auch was die Klassik angeht habe man ihn stets darauf getrimmt nach Europa aufzubrechen. „Gerade Deutschland ist dafür bekannt, dass es in fast jeder Stadt ein Stadt- oder Staatstheater gibt.“ Während seines langjährigen Studiums hat Tarte neben der Musik und Theaterwissenschaft auch Sprachen studiert. Je zwei Jahre Deutsch, Französisch und Italienisch und noch einmal je zwei Jahre Phonetik in ebendiesen Sprachen, um die Feinheiten in Aussprache und Gesang zu erlernen. Ob er nicht trotz allem manchmal auch Heimweh habe, möchte ich wissen. „Natürlich! Ich habe eine sehr große Familie, die ich versuche ein oder zweimal im Jahr zu treffen. Vorher bin ich immer sehr aufgeregt, weil ich mich frage, wie das wohl werden wird. Meistens ist es dann superschön und ich genieße es total. Aber dann kommt auch der Punkt, wo ich wieder nach Hause möchte. Mein Leben, mein Karriere, mein Lebensmittelpunkt ist hier und ich bin einfach froh, wenn ich dann wieder zurück bin. Zu Hause ist da, wo man sich zu Hause fühlt. Die Abschiede sind immer tränenreich aber mittlerweile kommen mich auch Verwandte hier besuchen. Zur Premiere zum Beispiel waren gerade ein Cousin und sein Partner da und das war richtig cool.“
Dass man sich als Künstler den Gegebenheiten anpassen muss, davon ist er überzeugt. Gewisse Lebensumstände erfordern ein gewisses Handeln. „Wir sind unglaublich viel unterwegs, und wenn man auf eine bestimmte Art fixiert ist, wie das Leben sein soll, dann wird man immer enttäuscht.“, sinniert er. Seit drei Jahren doziert er an einer Stuttgarter Schule und unterrichtet dort Nachwuchskünstler mit dem Vorhaben, das weiterzugeben, was er selbst kann und gelernt hat. „Ich bin sehr leidenschaftlich mit meiner Musik. Insgesamt habe ich fast zehn Jahre studiert, das ist außergewöhnlich, und da ist sehr viel dabei, was einfach weitergegeben werden muss.“, ist er sich sicher.
Für seine Leidenschaft schöpft er aus einer tiefen Quelle – begonnen bei einer langen, klassischen Ausbildung. „Ich mache aber auch viele Konzerte, habe eine Band, ich arbeite mit Symphonieorchestern und bin im Ausland überall unterwegs mit verschiedensten Sachen. Der Tellerrand von Musical in Deutschland existiert für mich nicht.“, erklärt er. Ihn reizt es, stets neue Aufgaben zu bekommen, Interessen zu entdecken oder neue Wege zu beschreiten, einfach neue Arten von Musik zu machen.
Selbstverständlich schaut auch er gern, in welche Rollen er einmal schlüpfen möchte. „Es muss schon passen. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Passt es vom Typ, Gesang und Schauspiel und vor allem, passt es auch in den eigenen Kalender.“ Letzteres dürfte zumindest für das kommende Jahr relativ eng werden, wie er erzählt, denn sein Terminplan sei bereits gut gefüllt. Es benötige viel Absprache und Koordination, alles vernünftig unter einen Hut zu bekommen, so dass auch der Ausgleich nicht zu kurz kommt. Es seien nicht die Vorstellungen an sich, aber deren Vorbereitung und das Reisen, welches auf Dauer die Konzentration sehr belaste.
Was viele seiner Fans interessiert, macht auch mich neugierig. Kehrt er gern in ältere Rollen zurück? „Natürlich!“, antwortet er spontan. „Man spielt Rollen meistens nicht nur einmal. Die interessanten möchte man öfter spielen, wenn es ein Angebot dafür gibt. Das ist aber immer eine größere Konstellation und hängt eben nicht allein am Künstler, der sagt dass er das gern machen möchte.“, schmunzelt er.
Das Portfolio von Kevin Tarte ist bereits unglaublich lang. Ruhig erklärt er mir, wie er sich auf eine neue Figur einlässt, und dass es auch bei Longrun-Produktionen keine Langeweile für ihn gäbe. Er verrät, dass er seine Figuren oft nachts allein erarbeitet, am liebsten auf einer Probenbühne. Zwar hätte er auch zu Hause die Möglichkeit, doch sei es im Theater, immer noch ein anderes Gefühl und erinnere ihn auch an seine Studienzeit zurück. Es sei ein langer Prozess, sich einer Figur zu nähern. Natürlich gäbe es Texte, Musik und Noten, aber das sei alles nicht elementar. Die Rolle selbst lebe seiner Meinung nach erst, wenn sie mit Leben gefüllt wird. Dafür betrachtet er nach Möglichkeit das ganze Leben seiner Rollenfigur, nicht nur den Ausschnitt, den das Musical zeigt. „Es gibt einen Haufen Material, wie es andere vor dir gemacht haben. Aber wenn du den Kern der Figur suchst, gibt es ein riesiges Angebot und plötzlich geht eine Tür auf. Der Mensch und sein Umfeld sind da zu entdecken, und aus dieser endlosen Quelle kann man dann schöpfen.“ Bei Javert, sei es nicht einfach gewesen, diesem Charakter in der Probenzeit zu begegnen, aber je öfter man die Verwandlung durchmache, desto leichter falle es einem.
Graf von Krolock, eine Rolle die er sehr häufig verkörpert hat, lässt ihn kurz nachdenklich werden. Verglichen mit Javert habe von Krolock unglaublich wenig aktive Bühnenzeit, aber dennoch müsse man stets wachsam und in der Rolle bleiben. Außerdem gäbe es immer wieder so viel Neues zu entdecken. „Natürlich ist diese Figur sehr interessant, weil er ja diesen Lauf über 400 Jahre hat, wenn der wirklich so alt ist hat er vieles gesehen und erlebt… Diese Dekadenz, das Überangebot von schönen Sachen und dann auch Verzweiflung, Enttäuschung, Verabschiedungen und neue Begegnungen, das kann man sich gar nicht vorstellen.“, umreißt er die Persönlichkeit des allseits beliebten und polarisierenden Vampiroberhauptes, ehe er seine eigenen Gedanken anfügt. „Ich persönlich finde ja ewiges Leben ist ein schreckliches Konzept, ganz schlimm. Du siehst alte Leute, die merken dass es genug war. Irgendwann ist ein Leben einfach gelaufen und das ist schon ein Teil des Prozesses – das Ankommen, Wachsen durch ein Leben und dann ist es irgendwann erschöpft und die Seele geht wieder. Das ist auch gut so. Ich glaube ganz fest an Wiedergeburt und bin davon überzeugt, dass alles einen Sinn hat.“
Müsste er allerdings spontan eine Rollenfigur nennen, deren Leben er gern einige Tage im Alltag leben würde, dann fiele seine Wahl spontan auf den Zauberer Merlin aus Artus. Die Figur habe er immer geliebt, und es sehr genossen in die Rolle zu schlüpfen. „Seine Kräfte, seine Weisheit und sein Feingefühl fand ich sehr faszinierend. Außerdem strahlt er Ruhe und Stärke aus, ist aber gleichsam ein Mensch der auch sein Päckchen zu tragen hat.“ Müsste er sich nicht für eine Rolle zum Tauschen entscheiden, sondern für irgendwas oder irgendwen, so würde er das Leben gern einige Tage im Mantel seiner beiden Perserkatzen verbringen. „Die haben so ein schönes Leben bei mir – und mal ein paar Tage auf dem Sofa rumlümmeln, genau das Gegenteil von dem wie ich eigentlich drauf bin, ist bestimmt auch lustig. Ich bin ziemlich aktiv, habe immer was vor, ständig neue Ziele und denen folge ich dann auch.“, schließt er, was mich direkt zu meiner nächsten Frage bringt, was er denn privat für ein Mensch sei. Natürlich liegt das immer im Auge des Betrachters, und selbstverständlich kann eine Antwort darauf nicht allumfassend sein, aber ein kurzer Einblick wird mir dennoch gewährt. Mein Gesprächspartner wird nicht müde, seine Leidenschaft für Kunst und Musik stetig zu wiederholen und zu demonstrieren. „Ich bin sehr neugierig, lebensfroh und gesegnet mit einem guten Humor.“, verrät er und fügt hinzu, dass er sich selbst immer wieder aufs Neue fordere, und nichts als selbstverständlich erachte. Das Leben sei eine Aufgabe, die es zu bewältigen gelte und wenn man etwas wolle, dann müsse man dafür auch etwas tun. „Erfolg ist eine Treppe, keine Tür.“, folgt er seinem Motto und lebt sein Leben sehr energetisch, da er überzeugt ist, dass die schönen Dinge dann auch meistens von selbst kommen. „Wenn man wartet, dass alles so sein soll, wie man es sich vorstellt, dann kann man viele Enttäuschungen erleben.“, ist er sicher und nimmt sein Leben daher aktiv selbst in die Hand. Auch hängt er nicht der Vergangenheit nach, sein Leben fände im Hier und Jetzt statt, erläutert er. „Ich bin an erster Stelle auf die Gegenwart fixiert, also das Hier und Heute und was das für meine Zukunft bedeutet. Aber ich versuche auch nicht in der Zukunft zu leben. Ich stecke meine Ziele, habe auch meine Ideen, aber es ist eine große Aufgabe in der Gegenwart präsent zu sein. Für mich ist die Vergangenheit irgendwie Zeitverschwendung. Es ist schön, sie hin und wieder zu besuchen, weil man viele schöne Dinge gemacht hat, es ist eine Quelle die ich energetisch mitnehme, aber ich trauere ihr nicht nach. Viel mehr denke ich, „was habe und will ich jetzt“ und diese Impulse brauche ich, um die Dinge zu mir zu bringen, die ich bis jetzt vielleicht nicht geschafft habe. Ich bin reifer geworden, das Leben geht schnell und mir ist es wichtig, so viel wie ich kann da rein zu packen.“
Ich durfte einen sehr facettenreichen Menschen kennenlernen, der mit viel Humor und Geduld meine Fragen beantwortet hat. Vielen Dank Kevin Tarte für die geschenkte Zeit und das lange ausführliche Gespräch.
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