9 to 5 – Das Musical

(c) First Stage

„Warum eigentlich bringen wir unseren Chef nicht um?“ Eine rein rhetorische Frage oder genau das, was sich Millionen Menschen jeden Morgen fragen, wenn der Wecker sie unerbittlich aus dem Bett schmeißt? Es gilt rechtzeitig zum Arbeitsbeginn im Büro oder der Werkstatt zu sein und seinem strengen, vielleicht verhassten oder gar nervenden, aber oft auch heimlich geliebten Boss sowie den unterschiedlichsten Kollegen gegenüberzutreten.

(c) Frank Linke

Eigentlich ist es früher Abend, als sich im Hamburger First Stage Theater, der schuleigenen Bühne der Stage School Hamburg, die Gäste versammeln, um sich bei der Semesterabschluss-Produktion des zweiten Jahrgangs ein Bild vom Können der Schüler, vielleicht auch der eigenen Kinder, zu machen. Die Plätze sind gut verkauft. Das, was über das Stück zu lesen war, macht neugierig. Bevor die Schüler in den Abschlussjahrgang wechseln, opfern sie – wie dies in jeder zweiten Klasse der Fall ist – ihre Sommerferien, um völlig selbstständig ein Musical auf die Beine zu stellen. Das Einzige, was die Schule dazu gibt, ist der Kauf der Rechte für das ausgesuchte Stück. Regie, Choreografie, musikalische Leitung, Bühnenbild, Kostüme oder Maske, ebenso wie das kaufmännisch und pressetechnisch Notwendige – alles, was es auf oder hinter der Bühne braucht, damit eine Produktion leben kann und beim Publikum Anklang findet, nehmen die jungen Leute selbst in die Hand. Entsprechend stellt sich vorab die Frage: Wie professionell kann eine solche Inszenierung werden?

(c) Frank Linke

Die kurz vor Vorstellungsbeginn in den Zuschauerraum strömenden Besucher bleiben teils verwirrt stehen, als ihr Blick über die ansteigenden Plätze, den Fußboden und die Bühne gleitet. Überall liegen schlafende, nur mit Pyjamas oder Shirts bekleidete Darsteller. Raunend steht die Frage im Raum, ob man diese wohl wecken darf, um seine Plätze einzunehmen. Wurden die Schlafenden von den Plätzen vertrieben, fallen sie vor oder auf der Bühne wieder todmüde zu Boden. Selbst Felix Wienbürger, der die Theateransage hier im Bühnenvordergrund „handgemacht“ am Mikrophon vorträgt, muss aufpassen, auf niemanden zu treten. Spätestens wenn der Wecker klingelt, die Darsteller gähnend und lustlos erwachen, aus ihren Betten schlüpfen und versuchen sich arbeitsfähig zu stylen, steht die eingangs gestellte Frage wieder im Raum: Wird hier heute wohl endlich einmal ein lästiger und nervender Chef „entsorgt“?

(c) Frank Linke

Violet Newstead, alleinerziehende Mutter und Chefsekretärin bei Consolidated Industries, soll Judy Bernly, eine neue Kollegin, einarbeiten. Was Judy bisher verschwiegen hat ist, dass sie weder Erfahrung an der Schreibmaschine noch am Stenoblock besitzt, sondern bisher immer nur die brave, biedere Hausfrau für ihren jetzt mit einer Jüngeren durchgebrannten Ehemann gespielt hat und auch sonst nicht wirklich von starkem Charakter ist. Auch Doralee Rhodes, eine verheiratete, blonde Südstaatenschönheit, arbeitet ebenfalls im Büro und wird unentwegt von ihrem Chef, dem sexistischen, egoistischen, engstirnigen und verlogenen Heuchler Franklin Hart Jr. belästigt. Die Kolleginnen meiden Doralee, weil Gerüchte umgehen, sie hätte ein Verhältnis mit ihrem Boss, was wiederum Roz, Harts Assistentin, wenig gefällt, da sie ihrerseits heimlich in diesen verliebt ist. Roz versucht alles, um dessen Aufmerksamkeit – Hart zeigt kein Interesse – zu gewinnen und macht sich mit ihrer intriganten und hinterhältigen Art keine Freunde. Im Laufe der Zeit werden Judy, Doralee und Violet Freundinnen, eint sie doch die Abneigung gegen ihren Chef.

(c) Frank Linke

Um ihren Sorgen zu entfliehen, nutzen die Drei einen Joint, den Violet ihrem Sprössling abgenommen hat. Sie malen sich in den schillerndsten Farben aus, wie sie ihren Boss loswerden könnten, genießen einen lustigen Abend und stehen am nächsten Tag ob der Drogen Nebenwirkungen eher neben sich als fit im Büro. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, als der Chef nach Kaffee ruft, Violet – noch halb berauscht – nach der Milch greift, aber stattdessen das gerade erstandene und nebenstehende Rattengift erwischt. Auf erschreckende Weise droht ihr Traum der vergangenen Nacht wahr zu werden, wollte sie Hart in ihrer Fantasie doch auf genau diese Art und Weise ins Jenseits befördern. Aber bitte doch nicht wirklich in der Realität – Violet ist verzweifelt und gemeinsam versuchen die Drei alles, damit der Chef nicht vom Kaffee trinkt. Roz hört ihre Gespräche ab, notiert eifrig das Gesagte und verpfeift sie an Hart in der Hoffnung, ihm damit wieder einen Schritt näher zu kommen. Nachdem alles aufgeflogen ist, gelingt es Doralee mit Hilfe eines Verlängerungskabels, ihren Chef daran zu hindern die Polizei zu rufen – sie fesselt ihn an einen Stuhl und gemeinsam suchen die Freundinnen nach einer Lösung. Harts Haus ist derzeit verwaist, seine Frau weilt in Urlaub und so schleppen sie ihn kurzerhand dorthin, um ihn, abwechselnd Wache führend, dort versteckt zu halten. Damit Roz seine Abwesenheit nicht bemerkt, erfinden sie die Notwendigkeit einer Sprachreise und schicken sie erstmal nach Frankreich.

(c) Frank Linke

Eine Firma ohne Boss ist aber auch wenig realistisch und so übernimmt Violet heimlich das Kommando in Harts Büro, Doralees Fähigkeit seine Unterschrift zu fälschen tut ihr Übriges, und so gelingt es den drei Frauen mit Neuerungen, gelockerten Regeln und großem Enthusiasmus die Firma in kürzester Zeit lukrativer werden und die Geschäftszahlen sprunghaft ansteigen zu lassen. Hinter verschlossenen Türen und mit Hilfe des Buchhalters Joe, der schon lange ein Auge auf Violet geworfen, aber bisher bei ihr nur auf Granit gebissen hat, gelingt ihnen der Beweis, dass der Chef sich und die Firma in krumme Geschäfte verstrickt hat. Nachdem es Hart schafft, aus den Fängen der Frauen zu entkommen, startet er den Versuch, die Freundinnen vor dem zwischenzeitlich auf Grund der positiven Veränderungen in der Niederlassung angereisten Geschäftsführer der Entführung zu bezichtigen. Sein Plan misslingt, der Geschäftsführer versetzt ihn wohlwissend in eine andere Filiale und schickt seine intrigante Assistentin direkt mit. Violet übernimmt offiziell die Führung von Consolidated Industries und kann sich endlich den Annäherungsversuchen von Joe öffnen, Judy gelingt es endgültig, sich aus der Abhängigkeit ihres Mannes zu befreien und selbstbewusst der Welt gegenüber zu treten, und Doralee verfolgt erfolgreich ihren Traum Sängerin zu werden.

(c) Frank Linke

 

 

Die Sommerinszenierung des in das Abschlussjahr übertretenden Stage School Jahrganges birgt einige Überraschungen. Nicht nur, dass das Stück quasi schon vor dem Gong mit den Darstellern im Zuschauerraum Aufmerksamkeit fordert, auch zu Beginn der Pause gelingt ein Geniestreich. Hart Jr. wird, auf einem Stuhl auf der Bühne gefesselt, von den anderen Aktiven zurückgelassen und versucht verzweifelt, die vorbeieilenden Zuschauer davon zu überzeugen ihm zu helfen. Aber wer käme schon auf die Idee, einem so schmierigen Heuchler seine Hand zu reichen und ihn zu befreien. Die Interaktion von Simon Dubach als nervender Chef mit dem Publikum gelingt großartig, und vor allem dessen Improvisationstalent in dieser Situation lässt die Anwesenden nur unter heftigstem Lachen das Foyer erreichen. Gelacht wird in dieser Inszenierung sowieso reichlich und herzhaft. Dubach kreiert einen Ekelchef Hart, bei dem sich der Zuschauer ob des überzeugenden Spiels nicht sicher ist, ob er ihn lieben oder hassen möchte und Chiara Monica verkörpert eine introvertierte Judy, die sich im Verlauf des Stücks gesanglich wie schauspielerisch authentisch aus ihrer Ängstlichkeit und Verkümmertheit herausarbeiten kann. Soraya Stehle spielt die Schickimicki-Diva Doralee in allen Facetten überzeugend und Antonia Sonntag schafft eine erfrischende und schwungvolle Darstellung der Violet Newstead. Verdient großen Applaus erhalten auch Meltem Ürküt, die Roz in ihrer ganzen Intriganz und Hinterhältigkeit so erfrischen witzig darstellt, wie es die Rolle verlangt und Neele Baus, die für die dauerhaft alkoholisierte Kollegin Margaret ebenso dauerhaft anhaltende Lacher erntet.

(c) Frank Linke

Dem zweiten Jahrgang der Stage School kann gratuliert werden. Ihre Inszenierung lässt keinerlei Professionalität vermissen. Das Bühnenbild ist mit kleinen dekorativen Veränderungen lediglich in die Kulisse der Vorproduktion gesetzt, kommt mit passenden Requisiten aber zweckmäßig und unterstützend daher und die Kostüme sind zu jeder Figur gelungen gewählt. Ein besonderes Augenmerk kann auf die Choreografie gelegt werden – während der Umbauten stehen einige der 50 am Stück beteiligten Darsteller souverän und ausdrucksstark tanzend im Vordergrund, was für durchgängige Unterhaltung beim Publikum sorgt. Der Witz des Musicals kann in jeder Sekunde transportiert werden und auch gesanglich brauchen sich die Zweitklässler nicht zu verstecken – hier ist bereits ein enormes Potential zu erkennen. Die Finanzierung der Produktion wurde über ein erfolgreiches Crowdfounding realisiert und selbst an Liveband und Programmheft wurde nicht gespart. Man darf gespannt sein, wie sich dieser Jahrgang weiterentwickelt und wie die nachfolgenden Schüler an diesen Erfolg anschließen werden.

Weiterführende Links:

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Homepage: Stage School Hamburg

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