Comedian Harmonists
„Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“ Das wohl vielen bekannte Lied der „Comedian Harmonists“, wenn man so will der ersten deutschen Boygroup, trifft auch heute noch ein überaus aktuelles Thema, welches die Menschheit bewegt, irritiert und nicht zuletzt auch in unterschiedliche Lager teilt oder gar entzweit, eigentlich mehr als auf den Kopf. Regisseur Lajos Wenzel, der für die Inszenierung der Geschichte um das bekannte Sextett an der Kammeroper Köln verantwortlich zeichnet, fasst seine Gedanken überaus passend in Worte: „Wir sehen, wie ein Teil der Comedian Harmonists immigrieren muss, wie sie mit Koffern in der Hand einem ungewissen Schicksal entgegen gehen. Wir erleben eine Flüchtlingsgeschichte aus der Perspektive, aus Deutschland fliehen zu müssen, was wahnsinnig aktuell ist. In dem Moment erreicht diese Phrase ‚Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück‘ einfach unsere Herzen.“
Das packende Stück von Gottfried Greiffenhagen (Buch) und Franz Wittenbrink (musikalische Einrichtung), war vom 28. März bis 14. April 2019 in der Kammeroper Köln zu sehen und führt mitten hinein in die „roaring twenties“ und frühen 30er Jahre. Harry Frommermann (Lukas Eder) hat in einer Berliner Zeitung eine Anzeige geschaltet und versucht auf diesem Weg seinen Traum, ein Gesangsensemble im Stil der amerikanischen „Revelers“ zu gründen, Realität werden zu lassen. Zunächst findet sich unter den zahlreichen Bewerbern jedoch nur einer, der Chorsänger Robert Biberti – Bass (Daniel Pastewski), der ihm passend erscheint. Dieser lässt sich von Harrys Idee überzeugen und animiert seinerseits Kollegen aus seinem Chor, Ari Leschnikoff – 1. Tenor (Bagdasar Khachikyan), Erich A. Collin – 2. Tenor (Oliver Polenz) und Roman Cycowski – Bariton (Tyler Steele), sich ihnen anzuschließen. Auch den Pianisten Erwin Bootz (Thomas Aydintan) können sie dazugewinnen. Dieser „klaut“ Harry das Amt des Arrangeurs und fortan hat die Gruppe in Harry einen weiteren Tenor in ihren Reihen.
Geprobt wird täglich, oder eher nächtlich, da sich die sechs erst nach ihren normalen Jobs in Harrys Wohnung treffen, um dort zu einer Einheit zu verschmelzen. Zunächst tun sie sich damit – meist übermüdet und antriebslos – recht schwer, nerven mit ihren zu lauten und schrägen Bemühungen die weiteren Bewohner des Hauses und ein erstes Vorsingen, noch unter dem wenig einfallsreichen Namen „Meistersextett“ bei der Varieté-Bühne Scala, endet in einer Katastrophe. Oder vielleicht auch nicht – der Agent Levy (Schauspieler Oliver Grice agiert in gleich mehreren Rollen) wird auf sie aufmerksam und vermittelt die Gruppe an den Varieté-König Eric Charell, der ihnen den „passenderen“ Namen „Comedian Harmonists“ verordnet. Sie treten bei seinen Revuen als „Entre Act“ auf, erhalten dadurch schon bald weitere Möglichkeiten und werden in Berlin wahrgenommen.
Ihr Traum, als Sextett in der ganzen Welt bekannt zu werden, rückt in greifbare Nähe, als sie für ein erstes eigenes Konzert ans Leipziger Schauspielhaus eingeladen werden. Dieses wird ein voller Erfolg und bald folgen weitere in anderen Städten. Erste Spannungen unter den Künstlern werden spürbar, ändern aber nichts am steilen Aufstieg der jungen Männercombo. In den frühen 30er Jahre singen sie in der Berliner Philharmonie, in welcher damit vor einem begeisterten Publikum erstmalig „Unterhaltungsmusik“ geboten wird.
Die musikalische Karriere der „Comedian Harmonists“ erreicht 1933 mit etwa 150 Konzerten jährlich ihren Höhepunkt und sie genießen den Erfolg sowie den damit verbundenen Reichtum in vollen Zügen. Aber auch vor ihnen macht der im Aufschwung befindliche Nationalsozialismus keinen Halt. Die Hälfte ihrer Mitglieder, Colin, Cykowski und Frommermann, sind Juden und geraten ins Kreuzfeuer der Politik. Erste Einschränkungen bringt das Reichskulturkammergesetz vom September 1933, welches u. a. die Einrichtung einer Reichsmusikkammer vorsieht. Musikern wird zunächst, um ihren Beruf weiter ausüben zu können, eine Mitgliedschaft vorgeschrieben. Es folgen einige Konzertabsagen, bevor diese Vorschrift im März 1934 durch Reichspropagandaminister Goebbels in eine Pflichtmitgliedschaft geändert und diese mit einem Ariernachweis verbunden wird. Ihr Aufnahmeantrag wird abgelehnt und hat damit grobe unmittelbare Auswirkungen auf ihre Engagements. Nun hagelt es förmlich Absagen und vor einem Auftritt müssen sie sogar vom Theaterdirektor selbst eine rassistische Ansprache miterleben, die sie vor den Zuschauern outet und das folgende Konzert, welches auf Grund des ausverkauften Hauses zwar nicht verboten wird, für sie aber zu einem wahren Spießrutenlauf werden lässt. Um die Konzertverpflichtungen der laufenden Tournee erfüllen zu können, erhalten die Sänger eine Sondergenehmigung, die allerdings bereits zwei Monate später endet. Ihnen werden nunmehr Auftritte in der derzeitigen Besetzung gänzlich untersagt, sie bekommen allerdings die Erlaubnis, ins Ausland reisen zu dürfen. Einige Zeit treten sie noch in ganz Europa auf, bis die bis dato unbehelligten Biberti, Bootz und Leschnikoff beschließen, nach Deutschland zurückzukehren. Angespornt werden sie durch ein Schriftstück, welches ihre Aufnahme in die Reichsmusikkammer bestätigt, allerdings unter dem Verbot, weiterhin mit den Nichtariern in ihren Reihen, denen gleichzeitig ein Berufsverbot erteilt wird, zu musizieren. Den drei jüdischen Männern bleibt keine andere Wahl, als sich mit nichts als ihren Koffern aufzumachen und ihr Glück irgendwo anders in der Welt zu suchen. Im Februar 1935 kommt es in Norwegen zum letzten öffentlichen Auftritt der „Comedian Harmonists“ und einer letzten legalen Plattenaufnahme mit dem bezeichnenden Titel „Morgen muss ich fort von hier“.
Der Kammeroper Köln gelingt mit dieser Produktion eine ebenso humorvolle wie ergreifende, die ganze Tragik des Stoffes erfassende Inszenierung, die das Publikum lachen, aber gerade zum Ende hin auch das Drama der nationalsozialistischen Einschränkungen fast körperlich spüren lässt. Kostüme und Bühnenbild tragen die Zeichen der damaligen Zeit und rufen jedem, der mit den „Comedian Harmonists“ bisher auf irgendeine Weise in Verbindung gekommen ist, sei es durch entsprechendes Alter, Tonträger oder über einen der zahlreich erschienenen Filme, die Bilder der Originale in Erinnerung.
Die gesamte Cast haucht den „Comedian Harmonists“, bei denen es sich um eine A-cappella-Vokalgruppe handelte, die bis auf Pianobegleitung ohne Instrumente auskam, auf überaus authentische Weise Leben ein und bringt deren auf Close-Harmony-Effekte abgestimmten Gesang, nebst wohlklang- und melodikorientierter Stimmführung, beeindruckend auf die Bühne. Sie versetzen ihr Publikum mit einer die innigen und besonderen Harmonien der Originale singenden Leichtigkeit zurück in die Vergangenheit und lassen ihre Rollenfiguren beinahe wieder auferstehen. Sei es der angenehm brummende Bass von Daniel Pastewski, die klangvollen Höhen von Bagdasar Khachikyan, die eindringlich samtigen Stimmen der beiden anderen Tenöre und des Bariton, oder aber auch nur das harmonische Spiel von Thomas Aydintan, dem ebenfalls die musikalische Leitung obliegt, alle finden passend zueinander. Durch die meist bekannten Titel wie „Veronika der Lenz ist da“, „Mein kleiner grüner Kaktus“ oder das bereits oben erwähnte „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“ gerät das Publikum ins Schwelgen in Erinnerungen und Träumen, so dass das tragische Ende dieser an historisch verbürgten Szenen orientierten, aber in Teilen frei erfundenen Handlung gleich doppelt schwer wiegt.
Die Kammeroper Köln öffnete erstmalig in der Spielzeit 1997/98 ihren Vorhang und erfreut sich seither großer Beliebtheit. Innerhalb kürzester Zeit wurde es eines der gefragtesten Tournee-Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nach nur sieben Jahren an der ersten Spielstätte in Köln-Rodenkirchen entschied man sich 2014 zum Umzug ins Walzwerk, in welchem nicht nur seit Beginn die Kran-Halle, sondern seit 2017 auch die Kran-Lounge regelmäßig bespielt wird. Unter Begleitung des hauseigenen Orchesters, der Kölner Symphonikern, kann man dort Musiktheater in all seinen Formen bewundern. Zum Spielplan sowie Ticketverkauf gelangt man unter www.kammeroper-koeln.de.
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