Interview mit Julian Schier

„Wer was wagt, der gewinnt!“

 

(c) Aurèlie Haußmann

Bereits von Kindesbeinen an ist Musical-Darsteller Julian Schier, den wir im Rahmen seines „Back at Home“-Konzertes in „Conrad’s Couch“ im Bergischen Land etwas näher kennen lernen durften, in der Musik unterwegs. „Eigentlich hat sich meine Affinität zur Musik schon seit dem Kindergarten herauskristallisiert. Ich ging den klassischen Weg – von Kinderchor über Spatzen- und Jugend- bis hin zum Gospelchor. Gelandet bin ich dann in einer Bank als Bankkaufmann in einem dualen Studium, obwohl ich eigentlich immer Jazz und Popgesang studieren wollte. Damals habe ich mich das aber noch nicht so wirklich getraut.“ Während seiner Ausbildung habe er dann hobbymäßig im Verein „Junges Musical Leverkusen“ gespielt. Den letzten Ausschlag, doch in Richtung Musik zu gehen, habe ihm seine Besetzung dort als Hauptcharakter Radames in der semiprofessionellen Produktion von „AIDA“ gegeben. „Radames hat mir den Samen in den Kopf gepflanzt, es doch mit der Musik zu probieren. Danach hatte ich dann aber auch wirklich den Wumms und genügend Energie um loszulegen.“ Sein Weg führte ihn eher zufällig an die Musical Arts Academy in Mainz, an der er zunächst seine dreijährige Ausbildung absolvierte, um anschließend nach München an die Theaterakademie August-Everding zu wechseln und dort seinen Master, der Abschluss war 2019, zu machen. „Im Prinzip habe ich seit meiner Kindheit immer irgendwie gesungen und getanzt. In Mainz gab es, als ich den Wunsch verspürte Musicaldarsteller zu werden, einfach als einzige Schule zur für mich passenden Zeit eine passende Aufnahmeprüfung.“

„Ich glaube es ist ganz normal, dass man während einer solchen Ausbildung auch mal den Fokus verliert“, verrät er uns auf unsere Frage, ob ein solcher Berufsweg eher steinig oder komplikationslos sei. „Bei mir war das um die Zwischenprüfung rum. Diese Zweifel, ob man wirklich gut genug ist.“ Natürlich verfolge man die Musicalszene und beobachte die Kollegen. Oftmals vielleicht sogar zu genau, sodass man sich schon häufiger frage, ob man wirklich in diesen Beruf passe und es schaffen könne. „Irgendwann kam dann aber der Knick und ich wusste, dass ich nur gut genug sein kann, wenn ich mich traue. Dass ich einfach das machen muss, was ich liebe und für was ich brenne und dann kann ich darin auch gut sein. Das war ein richtiger Schlüsselmoment. Es ist wichtig, dies alles für sich zu machen und nicht für andere, man darf nicht der Versuchung verfallen sich zu messen.“ An dieser Stelle gerät unser Fokus auf’s Interview ein wenig aus dem Blick, als Julians kleiner, lustiger und knuffiger Vierbeiner Tophi sein Herrchen freudig begrüßt und uns zu einer kleinen Kuscheleinheit verleitet. „Direkt nach meiner Ausbildung durfte ich in München den Jesus in einer konzertanten Version von ‚Jesus Christ Superstar‘ geben“, fährt Julian kurz darauf nachdenklich fort. „Auch da bin ich hingegangen und hab mir ganz viele Aufnahmen von Kollegen in der Rolle angesehen. Es hat mich irgendwie ‚kaputt‘ gemacht. Ich habe das dann schnell wieder sein gelassen, mein eigenes Ding gemacht und versucht, die Rolle für mich selbst zu entwickeln.“

 

Ist der Job eines Musicaldarstellers wirklich so, wie man ihn sich vielleicht blauäugig vor einer Ausbildung vorstellt? Schließlich bringt er wenig Sicherheit mit sich und man muss ständig um neue Engagements kämpfen. Uns interessiert, wie man es schafft, sich immer wieder neu zu motivieren. Zustimmend nickt er während der gesamten Fragestellung und antwortet dann auch sofort, dass das tatsächlich die größte Challenge sei. „Man muss immer und auf Dauer an sich arbeiten und darf dabei auch niemals müde werden. Und dann kommt auch noch dieses ‚Versagen‘ bei Auditions hinzu, was einen immer wieder auch runterzieht.“ Er schüttelt den Kopf: „Nein, Versagen ist ein schlechtes Wort dafür. Man muss einfach da hinkommen, sich zu sagen: Ich habe nicht versagt. Wenn ich eine Rolle, obwohl ich mein Bestes gegeben habe und optimal vorbereitet war, nicht bekomme, dann liegt es nicht an meinem Können oder vielmehr dann Nichtkönnen, sondern daran, dass ich in den Augen der Caster einfach nicht in diese Rolle, in ihre Vorstellung dazu, gepasst habe. Da kann man noch so darauf hoffen – was nicht passt, kann dann hier auch nicht passend gemacht werden.“  Gerade bei den ersten Auditions hätten ihn viele Zweifel geplagt und oft habe er gedacht, dass er einfach für den Job nicht gut genug sei. Die Erkenntnis, dass es daran oft gar nicht läge, sondern viele Faktoren zusammenpassen müssten, dass es letzten Endes funktioniert, habe ihn erst später getroffen. „Das ist ein Lernprozess. Hat man es einmal verstanden, dann ist es einfacher damit umzugehen. Leicht ist es nie, aber es wird eben leichter!“

Schon in etliche Produktionen konnte Julian seine Nase bereits während seiner Ausbildung stecken und Erfahrungen sammeln. Dann, nur zwei Jahre nach seinem Abschluss, kam das lange und große Aus für die Kulturbranche, als die Covid19-Pandemie die Vorherrschaft auf der ganzen Welt antrat. Kurz vorher musste er schon die unschöne Schlappe um die Produktion „Wallace“ einstecken, in der er als Cover den Hauptcharakter verkörpern sollte. „Tatsächlich fing der Lockdown gefühlt bei mir schon bei Wallace an. Diese Produktion war ein großer Traum – ich wollte immer mal eine Welt-Uraufführung spielen, eine Rolle mitentwickeln, die so noch keiner gespielt hat.“ Gedankenverloren und starr schweifen seine Augen bei diesem kurzen Rückblick in die Ferne und seine gesamte Haltung macht die Enttäuschung sichtbar, die damit verbunden gewesen sein muss. „Für mich war es ein richtiges Drama. Da ist Kunst einfach auf brutale Bürokratie gestoßen und auch die Kommunikation in dieser Situation war einfach mal sehr kalt!“ Auch in der nun entstehenden kurzen Pause merkt man ihm an, wie schwer immer noch die Erinnerungen an diesen, wie er sagt, krassen Tiefschlag wiegen, bevor sich ein Glänzen in seine Augen zurückschleicht und ein Lächeln wieder seine Mundwinkel umspielt. „Der Zusammenhalt zwischen den Kollegen damals war aber einfach klasse. Ich durfte dort so viele wunderbare Menschen kennenlernen.“ Und auch wenn er damals gedacht habe, es könne wohl kaum schlimmer kommen, kam nur kurze Zeit später die Pandemie und legte quasi das komplette Leben lahm. „Ich hab mich nach der Pleite sofort wieder aufraffen können und hatte auch relativ schnell einen neuen Job, eine Gala-Tournee und danach sollten die Produktionen in Tecklenburg starten. Alles wurde abgesagt und ich stand schon wieder vor dem Nichts. Aber hier muss ich wirklich einmal den Theatern danken, an denen ich in den letzten fünf Monaten war. Sie konnten schnell Kurzarbeit einführen und so wurde der finanzielle Verlust wenigstens ein bisschen abgefedert. Schmerzlich war es dennoch, aber damit konnte ich dann umgehen. Schlimmer war der emotionale Verlust. Mir fehlte die Zeit auf der Bühne und mit den Kollegen. Das kann einem keiner ersetzen.“ Ihm habe es geholfen, immer weiter an sich zu arbeiten und einfach nicht aufzugeben, jeden Tag aufs Neue aufzustehen und einfach weiterzumachen. So sei dann auch die Idee um die „Back at Home“-Konzerte entstanden. „Wenn man schon keinen Job hat, dann macht man eben selbst was! Sich im eigenen Selbstmitleid zu suhlen bringt keinem was.“ In dieser Zeit habe er den Intendanten des KatiELLi-Theaters in Datteln, Bernd Julius Arens, kennengelernt und durfte an seinem Theater die Winter-Gala und die Christmas-Show machen, was er als tolle und großartige Erfahrung beschreibt. „Das hat mir die Augen geöffnet – meine Karriere war nicht vorbei. Darüber bin ich dann nach München zu einer Konzert-Gala gekommen, bei der ich Janina (Janina Keppel, d.R.) kennengelernt habe, mit der ich die ‚Back at Home‘-Konzerte hier in Bensberg mache. Wir wohnen beide nicht weit von hier, so kam es auch zu dem Namen.“ Als dann auf Grund der Pandemie auch solch kleine Konzerte nicht mehr möglich waren, habe er sich auf anderes besonnen, gekellnert, im Testzentrum gearbeitet und seine komplette Wohnung renoviert. Er konnte sich den Traum von einem Quad erfüllen und hat seine Liebe zum Bootfahren entdeckt. „Ich habe versucht das Leben irgendwie neu zu packen, zu verstehen, wer ich eigentlich ohne die Bühne, ohne die ganze Musicalwelt bin. In dieser Zeit, also durch diese Krise, habe ich einfach mal verdammt viel über mich, über Julian und wer er überhaupt ist, gelernt. Was wirklich wichtig ist im Leben, also das, was man über Studium und Job gerne mal vergisst. Familie, Freunde und Hobbys. Klar ich habe mein Hobby, die Musik, zu meinem Beruf gemacht, aber da gibt es noch so viel anderes. Es war richtig schön, dies alles wieder neu zu entdecken – das ‚ausgebremst sein‘ hat mich einfach mal auch ganz viel gelehrt.“

 

Heute sehen natürlich auch Julians Perspektiven wieder besser aus. Die Pandemie scheint endlich ein wenig unter Kontrolle. Die Theater haben wieder geöffnet und auch zwischendurch gabs für ihn tatsächlich einiges zu tun. Über seinen Kontakt zur Agentur Klangpoesie von Florian und Tamara Albers lernte er das Format Streaming-Konzerte und dessen Möglichkeiten kennen und es verschlug ihn ans Theater in Saarbrücken, wo er bei deren Inszenierung von „Hair“ mitwirken durfte. Zuletzt sang er sich mit Kollegin Catherine Chikosi auf der Mein Schiff 6 durch die Ostsee. „Ja, es war eine tolle Zeit auf dem Schiff und vor allem eine großartige Erfahrung. Ohne den Lockdown hätte ich das wohl niemals so im Fokus gehabt.“ Seit dem 2. Oktober kam man Julian auch wieder live auf der Musicalbühne bestaunen. Am Theater Hagen wirkt er bis in den kommenden Februar hinein bei „Spamalot“ mit und auch auf der Konzertbühne wird er ab Dezember dieses Jahres bis Anfang April 2022 als Solist im Gala-Konzert „Die Nacht des Musicals“ zu sehen sein. Auch seien die Planungen für seinen persönlichen Musicalsommer schon in vollem Gange, schmunzelt er. Einzelheiten dürfe er aber noch nicht preisgeben. „Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf alles was jetzt kommt!“

„Wieder eine ganz andere Erfahrung war mein Einsatz in der Regieassistenz im Kleines Theater Bonn. Dort durfte ich bei ‚The Fantastics‘ und ‚Die letzten 5 Jahre‘ mal in die andere Seite eintauchen und von vor der Bühne aus im Geschehen die Fäden ziehen.“ Am Thema Regie sei er schon lange sehr interessiert gewesen, dennoch habe es ihn unerwartet und ziemlich kalt erwischt, als von Florian Albers der Anruf mit der Frage dahingehend kam. „Ich durfte sogar choreografieren, das war mal so richtig cool. Da habe ich dann auch gemerkt, dass mein Lehrberuf Bankkaufmann von allem doch gar nicht so weit weg ist. Bei der Regie oder Regieassistenz gibt’s halt auch viel zu organisieren. Und vor allem sieht man dann auch mal, dass es nicht immer die Darsteller sind, die nicht funktionieren, sondern dass auch einfach mal die Ideen der Regisseure nicht umsetzbar sind.“ Vor allem aber habe er die Chance gehabt, von einem tollen Regisseur zu lernen, erzählt er immer noch ein wenig aufgedreht weiter, sodass seine Begeisterung für diesen Berufszweig unmittelbar zu spüren ist. „Ich konnte sehr viel von Stefan Krause lernen, er ist ein ganz toller Regisseur und er gab mir den Raum auch meine verrückten Ideen auszuleben.“ Als enorm wichtig bezeichnet er dann auch heute eine gute Kommunikation zwischen Regie und Darsteller, damit das Endergebnis rund und erfolgreich werden könne. Ein Prozess, von dem meist die ersten beiden Probenwochen bei der Erarbeitung eines neuen Stückes betroffen seien. „Ich persönlich mag Produktionen, die ein bisschen originell sind, ein wenig modern und abseits vom Mainstream. Man muss nicht alles neu erfinden, beispielsweise bei Othello, eine Spaghetti-Beschmeiß-Orgie muss es jetzt nicht sein, aber so eine bisschen modernere Komponente ist schon cool. Ich könnte mir das sogar als zweites Standbein vorstellen.“ Wie schnell doch Träume wahr werden können, denn auch derzeit steht er in Bonn als Regieassistent vor der Bühne und darf sich ebenfalls an der Choreografie austoben.

Wie immer in unseren Interviews erfahren wir auch gerne etwas über den privaten Menschen. Was macht Julian Schier denn nun wirklich abseits der Musicalbühnen aus. Er überlegt einige Sekunden, ehe er uns einen Einblick in die Charaktereigenschaften erlaubt, mit denen er sich selbst beschreiben würde. „Ich bin ungeduldig“, ist seine erste schnelle Angabe, bevor er noch tiefer in sich hineinhört und sich weiter beschreibt. „Ich bin liebevoll und treu! Ich glaube das passt ganz gut, aber an der Ungeduld muss ich noch ein wenig arbeiten“, schließt er lachend.

Seine Freizeitgestaltung scheint äußerst vielschichtig. „Oh, Hobbys habe ich viele. Gartenarbeit mag ich sehr gerne. Meditieren, Wellness, Boot und Quad fahren konnte ich für mich entdecken – das Boot ganz neu, weil eigentlich ist mir so mitten im Ozean, mit so unendlich vielen Metern Wasser unter mir, schon recht mulmig. Aber ich konnte mich überwinden“, grinsend blitzt der Schalk in seinem Nacken auf. „Ich liebe es Fahrrad zu fahren, Inlineskates – ich lebe einfach das Leben, lass mich treiben, inspirieren und auch begeistern. Und ein weiteres riesengroßes Hobby ist natürlich auch mein Hund.“

Gerne und oft höre er Musik. „Tatsächlich mag und höre ich die unterschiedlichsten Genres. Ich mag Schlager sehr gerne…“ schmunzelt er und setzt schnell nach: „…zumindest beim Feiern. Techno geht auch immer. Oldies und klar, natürlich auch Musicals. Da sehr gerne Scott Alan und überhaupt die ganzen Off-Broadway-Komponisten. Das ist heute ja schon mehr Pop-Musik und weniger so richtig dramatisches Musical.“ Aber eine lustige Eigenschaft habe er dann doch. Auf Autofahrten – und er fahre viel und oft lange Strecken in seinem Beruf beschreibt er – da sei es still im Auto. „Ich mache lieber die Fenster auf und höre einfach nichts. Aber sonst wirklich alles bunt gemixt. Mit Ausnahme von Heavy Metal, das ist so gar nicht mein Fall.“

Bevor wir zum Ende kommen, möchten wir wissen, ob es einen Denkanstoß für ihn gibt, mit dem es ihm aus eigener Kraft gelingt, seine Krone zu richten und wieder aufzustehen, wenn mal gar nichts mehr geht. Ein Gedanke, ein Zitat oder vielleicht sogar eine Liedzeile, nach der er lebt oder die ihm viel bedeutet. Wissend lächelt er bereits bevor wir die Frage zu Ende gestellt haben und die Antwort kommt dann auch sehr spontan über seine Lippen. „Wer was wagt, der gewinnt! Das ist eine Textzeile aus ‚AIDA‘. Tatsächlich bedeutet sie mir sehr sehr viel. Einfach machen und nicht groß darüber nachdenken, was andere sagen – mach dein Ding, mach das was du fühlst und wofür du lebst und brennst. Das ist ein wirklich wichtiger Satz. Ich vergesse ihn auch schonmal öfter. Aber dann habe ich meine Familie und meine Freunde, die mich immer wieder daran erinnern.“

Vielen Dank Julian Schier für deine Offenheit und deine geschenkte Zeit!

 

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