When Musical Meets History

…im Colosseum Theater Essen

am 09.02.2020

 

(c) Sound of Music Concerts

 

Während draußen der seit einigen Tagen angekündigte Sturm „Sabine“ sein Unwesen treibt, versammeln sich pünktlich zum Einlass die Zuschauer für das noch länger in den Startlöchern stehende musikalische Großprojekt „When Musical Meets History“ im rund 1500 Zuschauer fassenden Colosseum Theater in Essen. Allen Diskussionen über einen Ausfall oder eine Verlegung der Veranstaltung auf ein anderes Datum zum Trotz wagen zahlreiche Musicalfans den Weg ins Theater und nur wenige Plätze bleiben verwaist. Vorweggenommen sei zu sagen, dass auch das Fehlen einiger Zuschauer der Stimmung keinen Abbruch getan hat. Ganz im Gegenteil, so turbulent die Witterungsverhältnisse vor der Tür sind, sie heizen die Vorfreude, Emotionen und Erwartungen auf das im vergangenen Jahr mit großem Erfolg gestartete und nun erneut mit einigen Änderungen auf die Bühne gebrachte Konzertevent der Extraklasse gehörig an.

(c) SoM/Stephan Drewianka – aus 2019

33 Bühnenaktive, davon 14 Solisten, 10 Chorsänger, 8 Bandmitglieder und der musikalische Leiter stehen an diesem Abend pünktlich auf der großen Bühne, um ihrem Publikum ein unvergessliches Konzerterlebnis mit 63 Songs aus 10 unterschiedlichen Musicals zu bieten. Die Aufgabe als musikalischer Reiseleiter durch unterschiedlichste Epochen übernimmt nach Judith Casparis Auftakt „Reise durch die Zeit“, welches dem Musical „Anastasia“ über die gleichnamige russische Zarentochter entstammt, auch in diesem Jahr sehr souverän und charmant Mark Seibert. Im Vorfeld jedes Blockes fasst Seibert, von der Band mit jeweils vertrauten Klängen untermalt, die wichtigsten Fakten zum Inhalt, der Zeit und der Herkunft des jeweiligen Stückes kurz zusammen und droht mit einem Augenzwinkern zum Abschluss der ersten Moderation noch an, er würde die Fakten im Laufe des Abends abfragen.

Im Saal heißt es zurücklehnen und genießen, während auf der Bühne die Zeit bis ins 11. Jahrhundert zurückgedreht wird. Ausgestiegen wird zunächst in Isfahan, wo Rob Cole seinen steinigen Weg antritt, um „Medicus“ zu werden. Verkörpert wird er von Patrick Stanke, der in diesem ersten Abschnitt des Abends mit seiner Darbietung zu überzeugen weiß und die Entwicklung seiner Figur im Laufe des Stückes sichtbar werden lässt. Sehr eindrucksvoll ist „Es fühlt sich nach Heimat an“, welches er gemeinsam mit seinen fantastischen Kolleginnen Michaela Schober und Sabrina Weckerlin sowie dem Chor zu einem Hörgenuss aufleben lässt und tatsächlich ein warmes Gefühl des Vertrauten auszulösen weiß.

(c) SoM/Stephan Drewianka – aus 2019

Eher heimatlos und auf der Suche nach Geborgenheit ist David Jakobs anschließend als „Glöckner von Notre Dame“ im Paris des 15. Jahrhunderts. In Monika Maria Staszak als Esmeralda findet er seine große Liebe, die sein Ziehvater und Widersacher Frollo (Dennis Henschel) mit aller Macht zu verhindern sucht. Jakobs schlüpft hier nicht nur gesanglich, sondern vor allem auch darstellerisch großartig in die ihm vertraute Rolle.

Der letzte Zwischenstopp vor der ersten Pause ist das Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts bei Boublils und Schönbergs „Les Misérables“. Hier ziehen alle Beteiligten sämtliche Register ihres Könnens. Patrick Stanke schlüpft in seine Paraderolle als Jean Valjean, als Gegenspieler Javert steht Jan Ammann bereit, der in diesem letzten Teil und unbestrittenen Höhepunkt des ersten Aktes mit „Stern“ seinen ersten Auftritt des Abends hat. Auch Eve Rades in der Rolle der Eponine sowie Jan Rekeszus als Marius wissen mit der Interpretation ihrer Songs zu rühren und tiefe Emotionen zu entfesseln. Mit einem stimm- und bildgewaltigen „Morgen schon“, welches noch lange nachhallt, wird das Publikum in die Pause entlassen.

Nach einem zwanzigminütigen Zwischenstopp wird wieder Fahrt aufgenommen, vom Beginn der christlichen Zeitrechnung über das Mittelalter bis hin ins 20. Jahrhundert, wenn auch nicht in dieser  Reihenfolge. Den von vielen ersehnten Beginn macht „Die Päpstin“, jenes Musical von Dennis Martin und Christoph Jilo, welches seine Uraufführung im Juni 2011 in Fulda feierte. An diesem Abend steht die „Ur-Päpstin“ Sabrina Weckerlin an der Seite von Multitalent Mark Seibert, der den Markgrafen Gerold verkörpert, auf der Bühne. Zunächst jedoch darf Michaela Schober nun bereits den zweiten Akt in Folge eröffnen. Spielte sie am Anfang des Abends Agnes Cole aus dem „Medicus“, so schlüpft die wandelbare Künstlerin nun in die Rolle der Mutter Johannas, die mit „Boten der Nacht“ die Gedanken und Erinnerungen heidnischer Gottheiten anruft. Sofort wird eine Brücke gebaut und der Weg ins 9. Jahrhundert geebnet, um der Liebes-, Lebens- und Leidensgeschichte Johannas gerecht zu werden. In perfekter Harmonie leben Seibert und Weckerlin ihre Rollen und wissen mitzureißen, zu begeistern und von sich zu überzeugen.

Ein dramatisches Unglück im April 1912, der Untergang des größten Luxusdampfers seiner Zeit, welcher als unsinkbar galt und auf seiner Jungfernfahrt im Eismeer weit über 1000 Todesopfer forderte, gilt als Vorlage für das Musical „Titanic“. Der Tragödie gerecht wird eingängige Musik, als Crew und Passagiere steigen Jan Ammann, Patrick Stanke, Misha Kovar, Michaela Schober, Monika Maria Staszak und der Chor ein und singen über Träume, Liebe und Ideale.

(c) Sound of Music Concerts

Für den atemberaubenden Abschluss des 2. Aktes sorgt Chris Murray als Sohn Gottes in Andrew Lloyd Webbers „Jesus Christ Superstar“. Intensiv, leidenschaftlich, mitreißend und in gesanglicher Perfektion intoniert er „Gethsemane“, sein Zwiegespräch mit Gott. David Jakobs mimt Judas, der durch seinen Verrat Jesus ans Kreuz liefert. Die starke Frau in diesem Abschnitt ist, wie schon am Ende des ersten Aktes, Eve Rades mit ihrer gefühlvollen Interpretation von Maria Magdalena. Der Abschluss „Superstar“ lässt selbst das Publikum aktiv werden und beschwingt auf den dritten und letzten Akt warten.

Dieser letzte Teil, der nach etwa 3,5 intensiven und auch lehrreichen Stunden beginnt, ist sowohl ein Augen- als auch ein Ohrenschmaus. Hier werden nun wirklich alle Reserven noch einmal mobilisiert und die tragische Familiengeschichte der Wittelsbacher Abkömmlinge König Ludwig II von Bayern, Kaiserin Elisabeth von Österreich und Kronprinz Rudolf geschickt miteinander verwoben. Seibert legt nach einer Einleitung seine Moderationskarten aus der Hand, nur um schließlich als personifizierter Tod seinen Charme spielen zu lassen.

Die Geschichte jedoch beginnt mit König Ludwig, dem Jan Ammann unter begeistertem Jubel Leben einhaucht, und dieses schließlich durch die Hand des Schattenmannes Dennis Henschel verliert. Obwohl dieser Gegenspieler, Unsympath und Mörder ist, erobert er mit seinem Gesang und der intensiven Interpretation die Herzen des Publikums im Sturm.

Misha Kovar, die junge Elisabeth, nur sieben Jahre älter als ihr Cousin, übergibt den Staffelstab mit dem Wechsel des Musicals an Maya Hakvoort, die ihr älteres Ich verkörpert. Trotz oder gerade wegen unzähliger Vorstellungen in dieser Rolle gelingt Hakvoort stimmlich und schauspielerisch auf höchstem Niveau der Drahtseilakt zwischen junger Frau, starker Persönlichkeit und Zweiflerin an ihren eigenen Gefühlen. Mark Seibert als verführerischer Tod hat leichtes Spiel, sie zu umgarnen und schließlich für sich zu gewinnen. Über die Grenzen der unterschiedlichen Musicals hinaus bleibt Jan Rekeszus als Kronprinz Rudolf erhalten. Seine starke Interpretation von „Wenn ich dein Spiegel wär“ hinterlässt einen Moment der Sprachlosigkeit, wird aber noch vom erwachsenen Rudolf, der unverstanden und alleingelassen ist, übertrumpft. Sein Zusammenspiel mit Judith Caspari als seine Geliebte Mary Vetserah ist unschlagbar. Beide Künstler leben ihre Rollen bis zum buchstäblichen bitteren Ende, bei welchem ihm vom personifizierten Tod die geladene Waffe in die Hand gedrückt wird.

 

(c) Sound of Music Concerts

Mitreißend und berührend ist dieser letzte Teil, der in seiner feinfühligen Zusammenstellung der Songfolge großartig gelungen ist und für intensive Gänsehautmomente sorgt.

„When Musical Meets History“ kann mit Fug und Recht als Konzertevent der Extraklasse bezeichnet werden. Sound of Music Concerts hat sich mit diesem Format wieder einmal selbst übertroffen und ist sich selbst treu geblieben. Der große und großartige Chor unterstützt die Solisten sowohl gesanglich als auch unaufdringlich, aber keineswegs unbemerkt mit Choreographien von Yara Hassan. Drei Akte in fast fünf Stunden vergehen wie ein Wimpernschlag und rufen Begeisterungsstürme hervor. Die achtköpfige Band unter der Leitung von Bernd Steixner leistet hervorragende Arbeit und rundet das Galakonzert perfekt ab.

Dieses zweite „When Musical Meets History“ Konzert endet nach minutenlangen stehenden Ovationen mit einer letzten abschließenden Moderation Mark Seiberts, der zunächst mit einem Augenzwinkern, jedoch durchaus ernst gemeint, dazu einlädt: „Wem die aktuelle Wetterlage nicht geheuer ist und die Rückfahrt zu gefährlich scheint, ist herzlich eingeladen, die Nacht mit uns zu verbringen“. Auch hier ist die Sicherheit der Gäste gewährleistet, die nach diesem langen stürmischen Abend den Daheimgebliebenen sicher viel zu berichten haben.

 

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Ein Kommentar

  • Marilyn Kosiol

    Liebes AmoneA Team,

    wir haben uns unsagbar auf dieses Konzert gefreut, zumal wir das im letzten Jahr stattfindende Event aus Krankheitsgründen nicht besuchen konnten. Dieses Mal
    machte uns „Sabine“ einen dicken Strich durch die Rechnung ; schweren Herzens entschieden wir uns gegen eine Reise nach Essen, da uns nach der Veranstaltung auch
    noch ein langer Nachhauseweg bevorstand.
    Ein herzliches Dankeschön für euren tollen Bericht über diesen ganz besonderen Abend;
    beim Durchlesen wird man schon etwas wehmütig nicht dabeigewesen zu sein, dafür
    haben wir eure ausführliche Beschreibung, wie ihr dieses Konzert erlebt habt, so sehr genossen, dass einem richtig warm ums Herz wurde.
    Danke nochmals, auch für die Songliste.

    Herzliche Grüße
    Jürgen und Marilyn Kosiol

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