Im Weißen Rössl – Renaissance-Theater Berlin

 

 

 

Sommerzeit ist Urlaubszeit. Für manch einen geht es in jedem Jahr an den Strand oder in die Berge, andere sparen jahrelang und genießen ihre kurzen Auszeiten schließlich doppelt. Zu einem gedanklichen Kurzurlaub lädt auch in diesem Jahr das Renaissance Theater in Berlin ein. „Im weißen Rössl“, mit der Musik von Ralph Benatzky, wird im dem einzig vollständig erhaltenen Art-Deco-Theater Europas noch bis zum 7. September gespielt. Auch wenn die Ränge und die letzten Reihen des ovalen Zuschauerraumes beinahe leer sind, ist die Stimmung dennoch hervorragend. Kein Wunder, steht doch das meistgespielte Musiktheaterstück aller Zeiten auf dem Spielplan und entführt die Gäste an den Wolfgangsee.

Neun Darsteller und fünf Musiker füllen die kleine Bühne, die zweckmäßig aufgeteilt ist, mit Leben. Buchstäblich, denn zwischen dem Hotel – sogar auf mehreren Etagen – einer Alm, dem Badesee und dem „Kuhstall“, wo sich Gäste wie auch Einheimische treffen, um feuchtfröhliche Abende zu verbringen, bleiben keine Wünsche offen. Perfekt integriert werden die Musiker um den musikalischen Leiter Harry Ermer und seine Band, die in stilistisch zum österreichischen Klischee passend gekleidet und mit ihren Instrumenten stets mitten im Geschenen sind.

Regisseur Torsten Fischer inszeniert das Stück, welches 1897 entstand und als Operettenfassung seit 1930 immer wieder regelmäßig an allen erdenklichen Orten aufgeführt wird, mit sicherer Hand und viel Ideenreichtum. Neun Darsteller schlüpfen in beinahe dreimal so viele Rollen und entführen die Zuschauer aus ihrem Alltagstrott in die zauberhafte Idylle am Rande des Wolfgangsees, ohne Berlin überhaupt verlassen zu müssen.  Im Mittelpunkt stehen nicht etwa das Hotel oder die Landschaft, sondern vielmehr die Liebe, die dort im Salzkammergut auf überaus fruchtbaren Boden fällt. In die Rolle der Wirtin Josepha Vogelhuber schlüpft Winnie Böwe. Sehr resolut herrscht die Witwe über das „Weiße Rössl“, oder auch „The Little White Horse“, wie ein Reiseleiter für vergnügungssüchtige Touristen es international angehaucht zu nennen pflegt. Während die Gäste kommen, um ihren Urlaub dort zu verbringen, ist es ihr großer Traum, dem Ganzen einmal zu entfliehen, am liebsten mit Stammgast Dr. Siedler (Tonio Arango), der eine Anwaltskanzlei in Berlin am Kudamm betreibt. Ihr treu ergeben ist Zahlkellner Leopold Brandmeyer, der von Andreas Bieber verkörpert wird. Mit einer herrlichen Mischung aus Charme, Ironie, Witz und hin und wieder etwas über die Stränge schlagender Aggressivität  bemüht er sich redlich, das Herz seiner Chefin zu erobern, auch wenn er sich dafür in Unkosten stürzt und seinen Job aufs Spiel setzt. Leopold ist ohnehin der bereits sechste in einer langen Reihe Vorgänger, die allesamt dem Charme von Josepha erlegen sind und dafür mit dem Verlust ihres Jobs bezahlt haben. Beide überzeugen auf ganzer Linie und haben die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite.

Wie es im Sommer in Urlaubsregionen üblich ist, fiebert man auch im Weißen Rössl den Gästen entgegen, die dafür sorgen, dass die Kasse klingelt. Als Stammgast im bereits achten Jahr und damit mit Vorrecht auf das einzige Balkonzimmer des Hotels kündigt sich Rechtsanwalt Dr. Siedler wieder einmal an. Die Lacher hat er spätestens auf seiner Seite, als er seinen Berufsstand mit dem Attribut „ehrlich“ in Verbindung bringt. Doch er stellt sich im Zuge der  Handlung als  ausgefuchstes Schlitzohr heraus, bändelt er doch in diesem Jahr nicht nur mit der heimlich verliebten Wirtin, sondern auch mit der Tochter eines anderen Gastes an. Dass Ehrgeiz zum Berufsprofil des anmutenden Extremsportlers mit modernster Campingausrüstung gehört, ist kein Geheimnis, und am Ende gibt ihm der Erfolg Recht.

Mit der Fähre reist indes Trikotagenfabrikant Wolfgang Giesecke (Boris Aljinovic) nebst seiner bildschönen Tochter Ottilie (Annemarie Brüntjen) an. Während sie völlig unbeschwert das Leben genießt und nicht nur Augen für die Schönheit der Natur hat, bestreitet er seine eigenen Kämpfe. Auch Vater und Tochter sind in Berlin zu Hause, was er nur zu gern kund tut. In Ahlbeck hätte Giesecke seine Ferien weitaus lieber verbracht, in den Alpen kommt er weder mit der unpraktischen Kleidung noch dem Wetter und schon gar nicht mit den angebotenen Speisen zurecht. Einziger Lichtblick für ihn ist die Briefträgerin, deren Dekolleté er gern in Augenschein nimmt. Boris Aljinovic kann mit Abstand die meisten Lacher des Abends für sich verbuchen und es wird sicher niemanden im Publikum mehr geben, dem sein ewiger Streit mit seinem Konkurrenten Sülzheimer um das Patent der „Hemdhose, durchbrochen und zum knöpfen“ kein Begriff ist, auch wenn die wichtigste Frage „vorn oder hinten“, am Ende offen bleibt.

Auf Anraten des Anwaltes erscheint schließlich auch noch der bildschöne Sohn des Konkurrenten im österreichischen  Idyll. Ralph Morgenstern als Sigismund Sülzheimer aus Sangershausen legt ein herrlich komödiantisches Geschick an den Tag und ist sich auch nicht zu schade, selbst in seiner Rolle zu pausieren, wenn das Gelächter des Publikums ihn ansteckt. Er hat nur wenig Interesse an den Geschäften seines Vaters, dessen Leitspruch „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ lautet, sondern hält es eher mit den schönen Seiten des Lebens und dem Rat seiner Mutter „Ran an den Speck“. Dies nimmt er wörtlich, als er sich in Klärchen (Nadine Schori), die ebenfalls mit ihrem Vater, dem verarmten Professor Dr. Hinzelmann (Walter Kreye), auf Urlaubsreise ist, verliebt. Schon in der Bahn sind sie einander begegnet, und während der Professor noch mit sich ringt und skeptische Blicke in den schmalen Geldbeutel wirft, fliegen hier bereits die ersten Funken. Die Entwicklung beider Charaktere, die beide ihr Päckchen zu tragen und mit Vorurteilen zu kämpfen haben, ist gewaltig. Aus dem „Schönen Sigismund“ wird ein weniger schöner Mann, als er sein Geheimnis offenbart, und Klärchen entwickelt sich trotz eines Sprachfehlers, der sie schier an seinem Namen verzweifeln lässt, zu einer selbstbewussten und extrovertierten jungen Frau.

Walter Kreye darf zudem als Kaiser Franz Joseph II in Josephas Träumen erscheinen und den mahnenden Zeigefinger heben. Sein schauspielerisches Talent stellt er mit seinen beiden doch sehr unterschiedlichen Rollen mehr als einmal unter Beweis und bleibt trotz seiner kurzen Auftritte auch nachhaltig im Gedächtnis.

Angelika Milster rundet das Ensemble schließlich ab. Ihr wird die Aufmerksamkeit der Bewohner des Hotels nicht nur dann, wenn sie in offiziellem Auftrag unterwegs ist, zuteil. Als Jodlerin und Stubenmädchen und schließlich Postzustellerin ist sie beinahe die gesamte Spielzeit auf der Bühne und im Geschehen dabei. Da ist es nicht verwunderlich, dass Giesecke sich schließlich in sie verliebt und am Ende vier Verlobungen gefeiert werden dürfen, denn auch der zwischenzeitlich entlassene Kellner Leopold wird als „Ehemann auf Lebenszeit“ wieder ins Hotel zurückgerufen und bekommt schließlich das, was er von Anfang an ersehnt. Nicht umsonst steht in dessen Tagebuch, ganz im Geheimen auf der ersten Seite: „Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden.“

Die Besetzung der Rollen ist also durchweg gelungen, jedem Einzelnen gelingt es, seiner Figur auf ganz eigene Weise Leben einzuhauchen und selbst ohne Mikrofon sind sie bis auf den letzten Platz wunderbar zu verstehen.

Der Spaß für Augen und Ohren ist nicht nur durch das unterhaltsame Verwirrspiel garantiert, sondern auch durch die bekannten Ohrwürmer, die häufig vom Publikum unisono mitgeträllert werden. „Im Weißen Rössl“ ist inzwischen sicher nicht mehr das, was es 1930 gewesen ist. Natürlich geht man auch hier mit der Zeit und entstaubt  das Stück, welches von den Grundzügen der Beziehungen jedoch stets aktuell bleiben wird. So werden hier die bekannten Melodien ein wenig aufgepeppt, mit Falcos „Rock me Amadeus“ wird der Kaiser angekündigt, Leopold ist ganz „Bohemian Rhapsody“ affin „just a poor boy“ und legt mit den Gästen des Hotelrestaurants eine flotte Sohle aufs Parkett. Auch die Klänge von „Cabaret“ halten mit dem findigen Reiseleiter, der seiner Gruppe in kürzester Zeit die Vorzüge des Hauses, der Berge und des Sees erklärt, Einzug und auch „Die Zauberflöte“ findet ihren Platz im Geschehen.

Weitere, der Zeit angepasste Elemente sind neben Dr. Siedlers Wurfzelt, welches sich ideal für ein Schäferstündchen mit seiner neuen Flamme eignet, auch Mobiltelefone, die das altbewährte Telegramm ersetzen. Außerdem gibt es die Speisekarte des Hotels zwischenzeitlich nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch Französisch,  Spanisch und zur allgemeinen Erheiterung auch auf Chinesisch, denn man ist inzwischen Serviceorientiert und möchte sich auf internationales Publikum einstellen. Der Grundton des bei allen Generationen beliebten Stückes wird jedoch nie aus den Augen verloren, die Ohrwürmer bleiben genauso erhalten wie die Geschichte selbst und genau das wissen die Zuschauer zu schätzen.

Sowohl Kostümbild (Bettina Gawronsky) als auch Bühnenausstattung (Herbert Schäfer, Vasilis Triantfalillopoulos) arbeiten im Renaissance-Theater Hand in Hand zusammen und erzeugen die perfekte Illusion von Weitblick auf den Wolfgangsee und österreichischem Charme.

Alles in allem ist die Inszenierung, die bereits in gleicher Besetzung im vergangenen Jahr zu sehen war, überaus gelungen und ein Genuss für jeden Interessierten.

 

Weiterführende Links:

Renaissance Theater Berlin

Winnie Böwe

Andreas Bieber

Ralph Morgenstern

Nadine Schori

Angelika Milster

Harry Ermer

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