Interview mit Johannes Hierluksch

Vielfältig und auf vielen Bühnen zuhause – Johannes Hierluksch, ein weiterer Pianist, der uns für unsere Pianisten-Reihe Rede und Antwort stand, ist zudem noch als Dirigent, Schlagzeuger und Solopauker unterwegs und bedient neben seiner Arbeit im Musical ebenso das Klassik-Genre. Er studierte klassisches Schlagzeug und Pauke bei den Berliner Philharmonikern, arbeitete lange Jahre beim Peking Symphony Orchestra sowie beim Münchener Rundfunkorchester und ergänzt seine Vita durch Gastauftritte bei vielen weiteren renommierten Orchestern. Nach seiner bereits frühen Arbeit als Korrepetitor für das Musikkorps der Bundeswehr, liest sich sein Werdegang im Musical-Genre ebenso interessant. Vom Studium klassisches Schlagwerk und Klavier an der Hochschule für Musik Hans Eisler Berlin führte ihn sein Weg als Percussionist und Dirigent durch zahlreiche Musical-Klassiker wie z. B. “Les Misérables” und “Elisabeth”, weiter über “We will rock you” und “Aladdin”, bis hin zu “König der Löwen” und zuletzt “Paramour”. Wir durften ihn an der Stage School in Hamburg treffen, wo er als Dozent für Chorleitung, kleine Ensembles, Liedrepertoire und Korrepetition tätig ist.

 

(c) Friedrun Reinhold

In welchem Alter hast du zu spielen begonnen und gab es einen Auslöser, der den Wunsch nach 88 Tasten geweckt hat?

“Meinen ersten regelmässigen Klavierunterricht habe ich mit 5 oder 6 bekommen. Aber auf einem Klavier rumgeklimpert habe ich, seit ich denken kann. Es stand ja immer eins zuhause rum, von meinem Vater, der auch spielte. 

Es war zwar zunächst nur ein altes, das schief und krumm klang, aber meine Neugierde war von Anfang an geweckt!”

 

Wolltest du das Spielen je hinwerfen oder gab es längere Pausen? Warum war das so und warum ging es dann doch weiter?

Eine Pause gab es nie, ich habe es immer geliebt zu spielen! 

Eine etwas härtere Zeit kam erst in meinem Schlagzeugstudium, 8 Stunden üben war dann die Norm und es kostet schon viel Blut und Schweiß, sowas durchzuziehen. 

Aber auch das hat dann sehr viel Spaß gemacht.

Nachdem ich Jahre später von meinem ersten richtigen Job als Solopauker in Peking wieder zurück nach Deutschland kam, vergrub ich mich fast ein ganzes Jahr in meinem Proberaum, um mich auf ein Probespiel bei einem großen Berliner Orchester vorzubereiten. Nachdem ich die Audition nicht gewann und doch soviel Herzblut in die Vorbereitung gesteckt hatte, habe ich erst mal eine längere Auszeit genommen um zu reflektieren, wo ich mich musikalisch hinbewegen möchte. Richtig geübt habe ich dann fast ein ganzes Jahr nicht mehr, mein Geld aber weiterhin mit Orchestermuggen verdient. Dabei habe ich zunächst festgestellt, dass das Leben noch viel mehr Spannendes zu bieten hat als immer nur Musik. Es hat mich in gewisser Weise frei gemacht von der Obsession, unbedingt zu „müssen“. Nach diesem Jahr bin ich voller Energie und mit viel mehr Spaß und Dankbarkeit für diesen einzigartigen Beruf zurückgekommen. 

Kurze Zeit später kam dann der Bayerische Rundfunk, wo ich zwei Jahre Solopauker im Münchner Rundfunkorchester war, die Musicals und die Stage School.”

 

Wie kam es dazu, dass du auch beruflich spielen wolltest? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

“Ich wusste schon immer, dass ich Musiker werden wollte, auch wenn es in meiner Familie keine professionellen Musikervorbilder gab. 

Im Alter von 11 bis 13 gewann ich einige Wettbewerbe und war als singender Alleinunterhalter am Klavier mit Boogie Woogie unterwegs. Eine Mitschülerin spielte dann irgendwann mal die Sonate von César Franck für Violine und Klavier. Was für unglaubliche Kantilenen, was für tolle Harmonien! Da war es um mich geschehen… 

Und die Konzerte der Münchner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache erweckten in mir dann ganz schnell den Wunsch Orchestermusiker zu werden.”

Welches ist eigentlich „dein“ Instrument und warum? (Klavier, Flügel, E-Piano, anderes?) Gibt es eine Anekdote dazu?

“Ich habe einen Flügel, mein Ein und Alles, er begleitet mich seit meiner Jugend. 

Auf dem spiele ich natürlich am liebsten, auch wenn er aktuell die ganze Wohnung einnimmt. 

Meine Freundin hat ein E-Piano aus Spanien mitgebracht und in unserem Übungsraum steht neben den ganzen Pauken und dem Schlagzeug auch noch ein Piano.

Meine Partnerin ist erfolgreiche Dirigentin, Pianistin und Oboistin, sogar beim Kochen singt und fuchtelt, bzw. dirigiert sie oft wild in der Gegend herum, während ich oft mit dem Geschirr auf dem Tisch trommle (typische Schlagzeugerkrankheit!), es geht also meist drunter und drüber bei uns!”

Komponierst du auch selbst? Falls ja, welche Bedeutung hat dies für dich?

“Ich hatte leider seit meiner Jugend keine Zeit mehr fürs Komponieren. Vielleicht ist mein Anspruch auch einfach gestiegen, jedenfalls habe ich mit 16 alle Songs für meine damalige Band selbst geschrieben, inklusive der Texte.

In dieser Zeit liegt sicher auch der Ursprung für meine Affinität zum Musical, jedenfalls zu dem poppigen Teil davon.”

Spielst du eher mit dem Herzen oder mit dem Kopf? Was ist dir persönlich wichtiger, die Technik oder das Gefühl?

“Es geht immer zuallererst ums Herz, um Poesie, Schönheit und ums Gefühl, wir möchten ja schließlich jemanden emotional erreichen mit Musik! Aber in der Praxis gibt es die Trennung von Herz, Kopf, Technik und Gefühl natürlich überhaupt nicht, eins beeinflusst das andere. Ohne hervorragende analytische Fähigkeiten und Spaß an der technischen Umsetzung kommt kein Profimusiker aus. 

Als Mensch stehen einem ja schließlich auch alle Sinne, einschließlich Herz und Verstand zur Verfügung, es geht wie immer im Leben um die richtige Balance.”  

Gibt es einen Unterschied zwischen (Konzert)Pianist und Pianist (begleitend)?

“Ein Konzertpianist sieht sich selbst im Mittelpunkt. 

Als begleitender Pianist versuche ich alles, damit der Sänger oder die Sängerin im Rampenlicht glänzen kann, gut klingt und sich wohlfühlt. Eine viel erfüllendere Aufgabe, nach meinem Geschmack jedenfalls!”

Welche fünf Eigenschaften braucht ein guter Pianist?

5? Eher 50…

Wie jeder Musiker:

  • gute Ohren
  • eine große Vorstellungskraft
  • das Verlangen immer Neues zu lernen
  • Ausdauer
  • gute Nerven

Welche musikalischen Vorbilder hast du?

“Jede und jeder, mit dem ich spiele, kann für den Moment gewissermaßen musikalisches Vorbild sein, mich positiv beeinflussen und inspirieren! Das ist ja das Schöne an Musik, die Kreativität und die Farben sind so unendlich wie das Leben selbst. Und gerade beim Gesang ist das Ergebnis noch unmittelbarer mit der Persönlichkeit verknüpft als bei anderen Instrumenten.” 

 

Neben dem Klavier bist du auch im Spiel von klassischen Schlagwerken bewandert, hast sogar beides an der Berliner Hochschule für Musik Hans Eisler studiert. Wie entstand dein Wunsch nach dem Beherrschen dieser Instrumenten-Kombination und was macht den Reiz eben gerade an dieser Kombi aus?

“Klavier habe ich wie gesagt schon immer gespielt. Man hat dort einen guten Überblick über die Harmonien und das musikalische Geschehen. Schlagzeug dann später, weil ich ins Orchester wollte. Ich liebe die Klangfarben im Orchester und ich liebe die Körperlichkeit und den hohen Energielevel beim Pauken, es ist wie Tanzen. Einen großen Einfluss hatte in meiner Jugend Prof. Peter Sadlo, ehemaliger Solopauker bei den Münchner Philharmonikern unter Sergio Celibidache. Er war der vielleicht musikalischste Schlagwerker. 

Auch mein späterer Lehrer Prof. Rainer Seegers von den Berliner Philharmonikern legte allergrößten Wert auf Gesanglichkeit und einen vollen runden Klang beim Spielen der Pauke. Absolute rhythmische Perfektion war da fast schon eine nebensächliche Grundvoraussetzung.

Das passte immer schon gut zu meiner Vorstellung von Klavierspielen, und der Reiz, bzw. die Herausforderung in dieser Kombi liegt für mich darin, dass beide, Schlagzeug und Klavier, Schlaginstrumente sind. Das heißt, man kann einen Ton, einmal “angeschlagen” nicht mehr künstlich verlängern oder beeinflussen. Das Erzielen der Gesanglichkeit muss also allein über die Vorstellungskraft erzeugt werden, d.h. durch das relative Verhältnis, wie sich ein Ton zum anderen verhält.”

 

Deine Vita liest sich als Mischung zwischen Piano und Percussion, Korrepetitor und Dirigent – wo liegt deine vielleicht heimlich wahre Leidenschaft?

“Beim Dirigieren, nirgendwo anders ist man so mittendrin im musikalischen Geschehen! Es geht um das gemeinsame Musizieren und nirgendwo sonst kann man dafür so toll die Anreize setzen. Aber auch dort gilt mein oberstes Interesse dem Gesang. Bei allen Instrumenten haben mich schon immer am allermeisten Gesanglichkeit und wunderschöne Kantilenen fasziniert. Eigentlich wäre ich gerne Cellist oder Hornist geworden.”

Viele Stücke gerade im Musicalbereich hast du auf irgendeine Art und Weise unterstützt – welches ist dir dabei besonders ans Herz gewachsen?

“Stimmt, eigentlich wachsen einem fast alle Musicals ans Herz, da man sich ja auch viel länger damit beschäftigt als mit einem Konzertprogramm im Sinfonieorchester, das nach einer Woche vielleicht schon abgespielt ist. Eine besondere Stellung aber nimmt “Der König der Löwen” ein. Die Musik ist einfach fantastisch komponiert und zeitlos, die Inszenierung kreativ und ansprechend, ohne auf viel Firlefanz angewiesen zu sein. Und jeder, wirklich jeder kennt das Ding und hat einen Bezug dazu, egal ob Opernsänger, Jazzer, Hip-Hopper oder Busfahrer.”

Nicht nur Musicalproduktionen zieren deinen musikalischen Lebenslauf – auch sehr große Berührungspunkte mit der Klassik sind dort zu finden. Kannst du sagen, was für dich den Unterschied zwischen diesen Genres ausmacht oder sind sie sich vielleicht ähnlicher als man glaubt?

“Für mich macht es wirklich keinen Unterschied! Klar, jedes Genre hat seine eigene Sprache und seine Gepflogenheiten. Aber es fühlt sich mehr an wie eine große Familie, meine musikalische Familie. Manchmal sitze ich eben am Klavier mit Gesang, ein andermal im Musical und wieder ein andermal im Sinfonieorchester oder im Operngraben. Der gemeinsame Nenner ist: ich bin immer umgeben von Tönen, Klang und Menschen, die wunderschöne Musik machen und ich nehme immer die guten Momente aus jeder Erfahrung mit und berausche mich im besten Falle daran. Musik wirkt für mich nach wie vor wie eine Droge, eine ohne Nebenwirkungen, und ich genieße jeden Augenblick – egal an welchem Instrument!”

 

Schon vor deinem Studium warst du Korrepetitor für das Musikkorps der Bundeswehr und hast die dortigen Musiker beim Einstudieren ihrer Stücke unterstützt – wie kam es dazu und hast du auch selbst dort mitgespielt?

“Mein Jahr Grundwehrdienst war für mich ehrlich gesagt eine ziemlich traumatische Erfahrung. Ich dachte damals, ich könnte das Jahr gut nutzen, um zu üben und fit zu bleiben am Instrument. Es gab in Deutschland überhaupt nur zwei Leute, für die es diese Stelle als Korrepetitor gab. Ich fühlte mich also zunächst wohl geehrt und dachte, ich komm dann schon irgendwie klar mit dem Rest. Aber im Tarnfleck und mit geladener Waffe am Klavier zu sitzen und Mozart bei einer Prüfung zu begleiten (ich hatte nämlich eigentlich gerade Wachdienst) gehört – wie überhaupt das ganze Jahr – schon zu den skurrilsten Erfahrungen in meinem Leben…”

 

Immer noch bist du lehrend unterwegs – derzeit auch an der Stage School in Hamburg. Was macht den Reiz aus, gerade die angehenden Künstler bei ihrer Ausbildung zu unterstützen?

“Es gibt für mich nichts Befriedigenderes als meine Erfahrung, die Schönheit und die Begeisterung für die unerschöpfliche Vielfalt der Musik an eine neue aufstrebende Musikelite weitergeben zu dürfen! Ich glaube, der ganze Musicalsektor wird auch in Zukunft innerhalb der Musikgattungen an Einfluss gewinnen. Unterrichten ist immer ein Austausch – ich entwickle mich also auch selbst dabei weiter. Und es bereitet einfach wahnsinnige Freude anderen zu helfen über ihre Schatten zu springen und zu wachsen – musikalisch wie auch menschlich.” 

Gibt es etwas, das du einem angehenden Musiker mit auf den Weg geben würdest?

“Auch wenn man bei einer Audition natürlich extrem die Ellenbogen ausfahren und sich gegen alle anderen durchsetzen muss (weil man ja den Job möchte und das auch ganz klar signalisieren sollte!) – zu wirklich jedem anderen Zeitpunkt ist Teamgeist angesagt! Alles geht soviel leichter, wenn die Atmosphäre, der Respekt und die gegenseitige Wertschätzung stimmen. Dadurch entsteht auch erst der Nährboden und das Vertrauen, sich auf der Bühne wirklich verletzlich und intim zeigen zu können. Immer wieder unterschätzt, auch im Profibereich!

Neben den unabdingbaren Eigenschaften Fleiß und Disziplin riskiert auch viel mehr im Leben, seid neugierig und habt Mut zum Ausprobieren! Gerade im Umgang mit den eigenen Gefühlen, Kunst lebt von dieser Kreativität.

Ich habe schon den Eindruck, dass viele Phänomene der heutigen Zeit auf Gleichförmigkeit abzielen statt auf Individualität und dies bei der jungen Generation auch deutliche Spuren hinterlässt. Überdigitalisierung, Political Correctness, das ständige sich Inszenieren auf Instagram, immer der Vergleich mit der breiten Masse. Natürlich hat jeder Mensch das Bedürfnis, sich zugehörig zu fühlen. Aber eigenständiges Denken und Fühlen, auch mal im Widerspruch zu stehen zu anderen (und vielleicht auch zu sich selbst!), sich darüber offen und vorurteilsfrei austauschen und sich gegenseitig annehmen zu können, davon lebt Kunst und überhaupt Menschlichkeit. 

Weiterführende Links:

Website: Johannes Hierluksch
Facebook: Johannes Hierluksch

 

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