Interview mit Kevin Köhler

„Have courage and be kind!“

 

(c) André Arndt

 

 

Mit gerade einmal elf Jahren traf ihn das Musical „Starlight Express“ mitten ins Herz. Fortan träumte er davon, irgendwann einmal als Dampflok „Rusty“ über die Bretter des Starlight Express Theaters in Bochum zu rollen. Bei seinem ersten Solokonzert, in der kleinen Barmanufaktur „Goldstück“ in seiner Heimatstadt Recklinghausen, durften wir Kevin Köhler persönlich treffen, ihm ein wenig über die Schulter schauen und uns mit ihm über seine Träume und die Realität unterhalten.

„Eigentlich habe ich meinen Eltern zuliebe, parallel zum Abitur, zunächst etwas ‚Gescheites‘ gelernt. Ich habe eine Ausbildung zum staatlich geprüften gestaltungstechnischen Assistenten gemacht, bevor ich dann endgültig meinem Traum vom Leben auf der Bühne mit dem Besuch der Stage School in Hamburg einen Schritt näher rücken konnte“, erzählt er uns auf Nachfrage ein wenig über seinen beruflichen Werdegang. „Ich habe mich auch gar nicht an vielen Schulen beworben. Ich wurde an der Stage School genommen und bin dann auch sofort los. Schon vor meinem Abschluss wurde ich im 3. Ausbildungsjahr für ‚Tanz der Vampire‘, dort habe ich den Alfred gespielt, angeworben und mein Abschluss-Zertifikat bekam ich dann erst einige Zeit später durch den Besuch der Jury während einer meiner Vorstellungen bei ‚Starlight Express‘.“

Nach der Teilnahme an der ZDF-Casting-Show „Musical Showstar 2008“ ging sein riesengroßer Kindheitstraum in Erfüllung. „Ja, Rusty war immer mein Kindheitstraum und das ist jetzt nicht einfach so dahergesagt – genau dieser Rolle wollte ich eigentlich immer Leben einhauchen. Dass der Gewinn dieser Show mir dann aber genau diesen Wunsch erfüllen sollte, war mir zunächst gar nicht bewusst, beworben wurde ja nur ‚Musical Showstar 2008‘. Erst als man mich kurz vor dem Finale fragte, wie es um meine Skating-Fähigkeiten bestellt sei, dämmerte es langsam.“ Oft habe er gezweifelt und auch eigentlich nie daran gedacht, seinem Traum wirklich einmal so nahe kommen zu können. „Es waren halt immer alles englischsprachige Leute, die das spielten!“ Selbst für eine Starlight-Audition an seiner Schule habe er sich einmal vorbereitet und wurde sogar eingeladen, aber kurz vor Betreten des Raumes habe ihn dann der Mut verlassen und er sei tatsächlich gar nicht angetreten. „Als dann in dieser TV-Casting-Show alles geklappt hat und ich die Rolle bekam, war das einfach der Hammer. Es war, als hätte das Schicksal gesagt ‚Hey, es war immer dein Traum, jetzt mach es auch – tu es einfach!‘ Das war so unglaublich.“

Viele verschiedene Rollen durfte er seither besetzen, teils in größeren, aber mindestens eine auch in einer kleinen OffStage-Produktion. In „Thrill me“, einem kleinen, intimen Musical mit großer Wirkung, stand er als Nathan Leopold auf der Bühne. „Ich habe es geliebt! Michael Heller hat mich bei einem Kaffee auf ein neues Stück angesprochen, bei dem er Regie führt. Vorher hatte ich von ‚Thrill me‘ noch nie etwas gehört. Seine Erzählungen weckten mein Interesse und ich habe mir das Material kommen lassen. Ich war von der für mich vorgesehenen Rolle direkt absolut gefesselt und dachte sofort: ‚Oh Gott, den will ich spielen‘. Wie sich die ganze Figur aufbaut, sein Zwiespalt und dann am Ende kommt raus, dass er der eigentliche Psycho ist und das alles genau so geplant hat – ich hab‘s geliebt! Ich durfte endlich einmal der Böse sein und andere Sparten des Schauspiels zeigen. Ich war bis dahin der schüchterne Alfred und der nette, süße Rusty, der an sich selbst glaubt, und bei Tarzan dann Terk, der immer nur ‚dein Freund‘ sein möchte. Nur Quasimodo ging ja schon ein bisschen tiefer. Und dann kam mit Nathan Leopold eine solch tiefe, vielschichtige und gespaltene Persönlichkeit – das war für mich eine riesen Erfahrung. Zudem war es eine tolle Probenzeit und Michi als Regisseur hat das fantastisch gemacht. Er hat meiner Figur noch so viele Facetten hinzugefügt, auf die ich nicht gekommen wäre – das war einfach unglaublich.“ Nach kurzer Überlegung fügt er noch hinzu, dass er das Spielen sowohl vor großem als auch kleinerem Publikum sehr genießt. Beides habe seine Vor- und Nachteile. „Bei den großen Produktionen wird man oft von der Masse erschlagen. Es geht immer um Effekte und Kostüme und noch so vieles mehr. Da gehen die einzelnen Bilder schonmal auch in der Masse an Eindrücken unter, was in solch kleineren Geschichten seltener passiert. Off-Produktionen haben weniger finanzielle Mittel, da müssen die Darsteller wirken, ohne großes Drumherum. Das geht meist viel tiefer und ist einfach ein nochmal anderes Schauspiel. Ich mag diese intimen Momente, wenn du weißt, dass das Publikum jede deiner Regungen registriert. Man spürt den Atem, man merkt, wenn die Zuschauer auch mal den Atem anhalten und das motiviert dich nochmal ganz anders. Auf den kleinen Bühnen ist alles so nah, so kompakt und man hat eher das Gefühl, dass das Publikum mit in der Show ist und nicht nur zusieht – ein großartiges Gefühl.“ Natürlich erhoffen wir ebenfalls eine Antwort darauf, wie es sich anfühlt eine solche intime Rolle zu gestalten – es geht um Kindsmord, um Homosexualität und Abhängigkeit – und uns interessiert, welches Feedback dazu bis zu ihm vorgedrungen ist. „Ich war mir anfangs absolut unsicher, wie das wohl ankommen wird, aber die Reaktionen waren echt Wahnsinn. Nahezu jeder kam am Ende der Show auf mich zu und meinte: ‚Ich musste erstmal schlucken!‘ Das sind einfach die besten Reaktionen, viel besser, als wenn am Ende jeder kommt und sagt: ‚Hach war das schöööön!‘ In dem Moment bekommt man mit, dass die Zuschauer wirklich mitgegangen sind und sich nicht nur einfach haben berieseln lassen. Dazu kommt, dass wir ja nur zu zweit gespielt haben und wir in jeder Sekunde on top sein mussten, um das Publikum im Bann zu halten. Das ist viel schwieriger, als wenn 30 Darsteller auf der Bühne sind und man mal kurz in der Masse verschwinden kann.“

„Für mich war und ist es sehr wichtig, dass die Rolle nicht so endet, wie sie angefangen hat“, erläutert er uns auf die Frage, was für ihn eine Rolle interessant macht. „Sie braucht einen Bogen. Ich muss aus einem Stück anders raus- als reingehen können. Gibt das Script das nicht her, dann bastle ich mir das selbst. Ich möchte, dass das Publikum aus der Interpretation etwas lernen kann – eine Figur braucht für mich eine Entwicklung.“

(c) Tatjana Jentsch

Galakonzerte würden einen Touch mehr Kevin zeigen als eine Rolle im Musical, erzählt er uns weiter. „Da kann ich machen, was ich mag, kann mir die Lieder, die ich singen möchte, meist selbst aussuchen. Das finde ich auch sehr schön, weil die Zuschauer dann ein bisschen mehr ein Gefühl dafür bekommen, wer ich eigentlich bin.“ Neben den vielen Konzerten, in denen er bereits auf der Bühne gestanden hat, findet man in seiner Vita auch einige Berührungspunkte mit dem Fernsehen. Kindershows, Musiksendungen und Promotionauftritte zählen ebenso dazu wie Gastauftritte in Serien oder realitätsnahen Dokumentationen. „Man bekommt natürlich in kürzerer Zeit eine größere Reichweite und es ist aufregend, die Welt der Film- und Fernsehbranche zu erleben. Es geht vollkommen anders zu als auf der Konzert- oder Musicalbühne. Aber die Momente vor der Kamera genieße ich schon.“ Nicht jeder Tag verliefe gleich, ist eine Szene im Kasten, dann ist sie beendet und etwas Neues beginnt. Es sei einfach eine spannende und ganz andere Welt, aber es sei jetzt nicht das, was er jeden Tag machen müsse.

Schon öfter konnte man ihn auch in einer kleinen Kölner Agentur erleben, in welcher Inhaber Ratan Julian Jhaveri Künstlern die Chance eröffnet, mit Workshops und kleinen Konzerten in Wohnzimmeratmosphäre – unplugged und ohne Mikro – ihren Fans ganz nah zu sein. Was fasziniert Kevin Köhler an genau diesen nahen, intimen Momenten? „Ich komme jetzt endlich in ein Alter, wo ich sagen kann ‚Ich habe jetzt 12 Jahre lang erfolgreich auf der Bühne gestanden und konnte in meinem Job reifen‘. Das Wissen, das ich dort erwerben konnte, weiterzugeben macht riesigen Spaß. Wenn man dann merkt, dass mein Unterricht die Leute, die mittlerweile auch zu mir nach Recklinghausen kommen, auch noch weiterbringt und man eine Entwicklung sieht, dann ist das das beste Lob überhaupt, dann weiß man, dass man etwas richtig macht. Ich genieße das einfach sehr. Und Ratan hat mit seinen Workshops und seiner Einladung dazu bei mir den Grundstein gelegt.“

Momentan schöpfe er dabei aus seinen persönlichen Erfahrungen, an denen natürlich seine eigenen Gesangsstunden bei vielen unterschiedlichen Dozenten nicht unerheblichen Anteil hätten. „Von jedem nimmt man einen Teil mit und gewinnt somit viel an Erfahrung. Mir ist bei meinen Schülern enorm wichtig, dass sie ein Ziel haben – egal ob Profis, Hobbysänger oder Unter-der-Dusche-Sänger. Das ist auch in der ersten Stunde immer die wichtigste Frage – weshalb kommst du zu mir, was ist dein Ziel?“ Mögliche Antworten seien beispielsweise ein Vorsingen für eine Aufnahmeprüfung…, „Das sind natürlich tolle Momente, wenn einem ein solches Vertrauen entgegengebracht wird.“, …aber auch einfach, um ein bisschen mehr aus sich herauszukommen, oder auch um aktiv an Workshops teilnehmen zu können und von Mal zu Mal besser zu werden, wären dabei. „An der Positivität von Leuten zu arbeiten und ihnen dabei zu helfen, den inneren Schweinehund zu überwinden und offener zu werden, sind ebenfalls großartige Momente.“

„Eigene Songs wollte ich immer schon machen!“, ist seine spontane Reaktion auf unsere Frage nach seiner kürzlich erschienenen EP, mit deren Liedern er heute das erste Mal in einem eigenen Konzert (Kevin Köhler – UNFINISHED) auf der Bühne steht. „Waren es bei der ersten EP vor vielen Jahren noch schon bestehende Lieder, die ich mit solchen von Scott Allen kombinieren wollte, weil ich mich denen verbunden fühlte, sind die meiner jetzigen EP ein ganz anderes Thema. Zum ersten Mal habe ich meinen eigenen Gefühlen, Emotionen und Gedanken Worte geben können. Mit fantastischen Songwritern habe ich stundenlang über Dinge, die mich beschäftigt haben, geredet und am Ende kamen dann diese Songs dabei heraus. Erlebnisse mit meinem Ex haben mich in tiefe Löcher, in regelrechte Krater katapultiert und heraus kam „Crater“ mit dem ich mich so ein wenig für die damals entstandene Leere rächen kann. Eine tolle Arbeit, wenn so etwas entsteht.“ Allerdings gäbe es auch eine große Unsicherheit zu Beginn eines Release. Man habe zu diesem Zeitpunkt keinen Einfluss mehr auf das, was da kommen wird. Die Lieder sind fertig, auf CD gepresst und nun warte man gespannt ab, ob sie draußen auch ankommen. „Man kennt seine Songs in- und auswendig und es bleibt einem dann nichts anderes übrig als zuhause zu sitzen und sie in die Welt hinauszuschicken. Es kommen Fragen auf wie ‚Kommen sie an, wird sich überhaupt jemand dafür interessieren?‘. Und wenn man dann sieht, dass es funktioniert, dann fällt einem schon ein Stein vom Herzen. Es ist wunderbar, wenn man seine Fans damit erreichen und bewegen kann, wenn man sieht, wie seine ureigenen Gefühle andere Menschen berühren. Und heute im Konzert konnte ich das noch einmal direkt eins zu eins rüberbringen. Ich spiele auf der Konzertbühne mit meinen eigenen Songs keine Rolle. Das bin ich, das sind meine Lebensphasen, die zu Worten geworden sind. Einen ehrlicheren und pureren Kevin kann man sonst weniger sehen.“

Seine Lieder liegen weder richtig auf der Musicalschiene noch kann man sie als Pop bezeichnen. „Jeder Song sollte für sich stehen und seine eigene Aussage haben. Ich habe keine pure Popstimme – ich bin eher Pop-Musical – und mit meinen Songs wollte ich darum ein gewisses Genre kreieren. Also ganz weg von Musical bin ich damit nicht und möchte es auch gar nicht sein, schließlich bin ich ja Musicaldarsteller. Wenn eine Rolle rauskommt, die mich wirklich interessiert, werde ich mich sicher bewerben und schauen was da geht. Momentan habe ich halt den Drang, in der Nähe meiner Familie und meiner Freunde zu sein. Ich war so eine lange Zeit unterwegs – in Berlin, Hamburg, Stuttgart – bin immer hin und her gereist. Gerade möchte ich einfach einmal dieses Familien- und Freundschaftsleben genießen. Das war jetzt genau der richtige Zeitpunkt für meine eigenen Songs, denn von der Bühne ganz weg zu sein kann ich mir noch nicht vorstellen.“

In unseren Interviews legen wir besonderen Wert darauf, unseren Gesprächspartnern auch von der privaten Seite ein wenig näher zu kommen und haben immer ein paar persönlichere Fragen im Gepäck. So erfahren wir, dass für Kevin Familie und Freunde besonders wichtig sind. „Einfach mal normal leben zu können, einfach mal abends mit Familie oder Freunden an meinem Esstisch zu sitzen, für sie zu kochen und einen lustigen Abend zu haben, das ist für mich Heimat. So ein Tourleben lässt sich kaum mit Familie und Freunden verbinden. Man kann nur hoffen, es an seinen freien Tagen vielleicht mal nach Hause zu schaffen.“

Unsere Frage nach seiner Spontanität lässt ihn kurz auflachen. „Ich brauch Zeit für Veränderungen. Ich habe zwar immer schnell Ziele, darum geht es ja unter anderem auch in meinem Album, aber ich brauche immer die Zeit alles sacken und in meinem Kopf emotional ankommen zu lassen. Dann kann ich den Weg step by step weiter gehen. Das mit dem Konzert zum Album hat ja auch jetzt länger gedauert. Die Zeit war einfach noch nicht reif – aber jetzt passte alles.“

„In mir schlummert beides – Emotionalität und Vernunft“, verrät er uns weiter. „Das ist oft ein Widerspruch in sich selbst. Heute konnte man ja gut sehen, wie emotional ich reagieren kann…“, fährt er fort und läuft fast wieder in Gefahr, sich eine Träne aus den Augen wischen zu müssen. „Ich stehe oft an einem Punkt, wo sich Herz und Kopf zanken – aber grundsätzlich liebe ich beide dieser Eigenschaften und das ist auch gut so.“

Kevin Köhler ist auch in den sozialen Medien vertreten, allerdings fällt zu manchen Kollegen auf, dass es ihn nicht dürstet täglich präsent zu sein. „Ich bin sehr selbstkritisch. Bevor ich etwas in die Welt schicke, muss ich selbst davon überzeugt sein und schaue lieber zweimal hin. Ich poste nicht um zu posten, um vielleicht einen Algorithmus anzukurbeln oder aus was weiß ich für Gründen. Ich habe lieber die Reichweite, die ich habe und damit die Leute, die auch so an mir dranbleiben möchten – das reicht mir! Den Wert der Dinge machen für mich Emotionen und Ehrlichkeit aus.“

Unsere letzte Frage gilt auch bei ihm wieder seinem Lebensmotto – wonach lebt Kevin Köhler? Gibt es einen Spruch oder ein Zitat, das ihm hilft, auch in schwierigen Situationen immer wieder aufzustehen und weiterzumachen? Seine Antwort kommt sicher und schnell: „Oh ja. Ich habe ein Motto, welches mich schon lange begleitet – ein Zitat aus der Disney-Verfilmung von „Cinderella“. Danach lebe ich eins zu eins. HAVE COURAGE AND BE KIND!“

Weiterführende Links:

Facebook: Kevin Koehler
Website: Kevin-koehler.com

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