Der Vampir am Klavier

Thomas Borchert im Schlossparktheater Berlin, 13.09.2021

An einem Montagabend im September geben sich Gunter Heribert Maximilian Graf von Krolock und Thomas Ulrich Graf von Borcula im traditionsreichen Berliner Schlossparktheater die Ehre. Thomas Borchert, seit über 30 Jahren als Darsteller auf den unterschiedlichsten Bühnen der Welt zu Hause, verkörpert die zänkischen, mehr oder weniger Untoten in Personalunion und lässt immer wieder mal den Einen und dann den Anderen zu Wort kommen. Wie es sich für echte Vampire gehört, hat draußen bereits die Dämmerung das Tageslicht verdrängt, als der erste Adelige die Bühne betritt. Die Kunde seines Gastspiels hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet und dementsprechend gut ist der Saal, den nun nach Lockerung der Auflagen nur noch wenige Puppen als Abstandshalter zwischen den Gästen zieren, gefüllt. Alle Anwesenden dürstet es nach Liveunterhaltung und die Gier nach Theater, Musik und Gesang lässt sich bereits am ersten, tosenden Begrüßungsapplaus ablesen, als Krolock hinter einem Paravent hervortritt und mit einer ganz eigenen Vorstellung seiner Person das Publikum begrüßt und auf den Abend einstimmt. Beinahe verächtlich tut er den Darsteller ab, der hinter dem Sichtschirm auf der Bühne verborgen auf seinen Auftritt wartet. Er nennt ihn menschlich, seiner Meinung nach verkauft dieser sich in Jahrmarktmanier in zu enger Hose, überschminkt und mit toupiertem Haar deutlich unter Wert und singt lieber in Musicals mit oft dramatischen Tönen, die er viel zu lange hält, statt seiner eigentlichen Pflicht, dem Blutsaugen, nachzugehen. Nur zu gern zeigt sich der arrogante Untote bereit, die Show zu retten und die Langeweile des Publikums zu vertreiben, was sofort den eigentlichen Gastgeber deutlich protestierend auf den Plan ruft und die Show an sich reißen lässt, um seine vielfältigen Talente anzupreisen und schließlich auch unter Beweis zu stellen.

Dass er nicht zu viel versprochen hat, wird unmittelbar nach der Einleitung deutlich. Borchert schlüpft als Vampir am Klavier, Anekdoten zum Besten gebend, mit „Sweet Transvestite“ zunächst in die Rolle des Frank’n’furter, was die Stimmung im Saal augenblicklich zum Kochen bringt.
Die Frage, wie ein Vampir dazu kommt, ausgerechnet Musicaldarsteller zu werden, beantwortet Borchert völlig plausibel damit, dass es unterschiedliche Schnittmengen gibt, die nur diesen einen Berufswunsch zulassen. Zunächst seien beide nachtaktiv, Vampire und Künstler hätten beide einen Hang zur Dramatik und seien außerdem nicht in der Lage, ein systemrelevantes, halbwegs normales Leben zu führen.

Die Reise durch die Musicalwelt führt zu „Next to Normal“, wobei sich die Frage stellt, was eigentlich normal ist und ob es erstrebenswert ist, diesen Zustand überhaupt zu erreichen. Als „Graf von Monte Christo“ erinnert er sich zurück und bittet als Jean Valjean Gott darum, seinen Schwiegersohn in spe unversehrt heimzubringen.

Wandelbar und bildreich schildert Borchert seine Audition bei „Cats“, die noch während seiner Ausbildung stattfand, und gibt nach der erheiternden Schilderung seiner Tanzeinlage vor dem Auswahlkomitee mit „Rum Tum Tugger“ direkt einen Einblick in die Welt der Menschen, die sich als Katzen verkleiden, die sich wie Menschen verhalten.

Der eigentliche Traum, als Singer/Songwriter seinen Lebensunterhalt zu verdienen, blieb lange Zeit auf der Strecke und der Ausflug ins Musicalbusiness wurde zum Alltag. Allerdings erfüllen sich manche Wünsche schon beinahe nebenbei, sodass mit „Das Ende der Story“ (urspr. „A wandering season“) – das Ende des Musicals „Divas“ – ein Song aus seiner Feder den Weg in ein Musical findet.

Zum Ende des wirklich abwechslungsreichen ersten Teils des Abends schlüpft Borchert noch einmal in die Rolle des „Buddy Holly“ und heizt mit einem Medley die Stimmung, wenn überhaupt möglich, noch weiter auf. Die Pause hat nicht nur er, sondern auch das unermüdlich mitfiebernde Publikum redlich verdient.

Wie schon am Anfang eröffnet Krolock persönlich den zweiten Teil des Abends, denn Musicalfans verknüpfen doch „Die unstillbare Gier“ aus dem „Tanz der Vampire“ fast schon automatisch mit dem Vampirbegriff, auch wenn es in dem Genre noch einige andere Kollegen gibt, deren Namen und Songs zwar geläufig sind, aber leider nicht sofort assoziiert werden.

Ein eifersüchtiges Streitgespräch zwischen den Vampiren auf das Vorrecht der Unterhaltung entbrennt daraufhin, was sofort für ausgiebige Lacher sorgt.

Rückblicke auf Engagements in Wien führen zu Geschichten und Liedern aus „Mozart“ und „Elisabeth“, ehe die musikalische Reise des Gastgebers weiter nach London zu einer Open Air Produktion von „Gigi“ geht. Er gibt eine Kostprobe, kommt dann jedoch zu dem Schluss, dass sich die britische Hauptstadt und Freilufttheater wettertechnisch eigentlich ausschließen, wie er am eigenen Leib erleben durfte. „Jekyll & Hyde“, geben dem Ché aus „Evita“ die Klinke in die Hand und als gottgeleiteter Pfarrer Don Camillo besingt er die Liebe zu seinem Dorf, welches ihm mit seinen „36 Häusern“ ans Herz gewachsen ist.

Endlich schlüpft er im Anschluss in die Rolle des an diesem Abend noch fehlenden Vampirgrafen „Dracula“ und zaubert mit „Je länger ich lebe“ mühelos eine Gänsehaut und eine Sekunde atemlose Stille, ehe verdienter Applaus ihn belohnt.

Dass Thomas Borchert ein Ausnahmekünstler ist, beweist er mit jedem Stück, welches er an diesem Abend zum Besten gibt, einmal mehr. Er begleitet sich selbst am Flügel, der Name „Vampir am Klavier“ ist Programm, und hat dadurch die Gelegenheit, den Liedern seinen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Faszinierend sind hierbei vor allem seine Interpretation vom Titellied aus dem „Phantom der Oper“, welches kaum wiederzuerkennen ist, aber auch eine sehr intensive Version von „Der letzte Tanz“.

Das bis auf „Gigi“ ausschließlich auf Deutsch gehaltene Programm kann zweifellos als eines seiner besten Bühnenprogramme genannt werden. Selten war die Stimmung des Publikums im Schlossparktheater derart ausgelassen und begeistert. Ein ums andere Mal weiß Thomas Borchert mit seiner Flexibilität und der geschickten Verknüpfung von Gesang, Gestik und dazugehörigen Geschichten die Anwesenden bis zur letzten Sekunde und darüber hinaus zu fesseln.

Ohne eine Zugabe wird er nicht von der Bühne gelassen und gibt hier wie oft gehört, aber immer wieder geliebt, sein „Wildschweinduett“ zum Besten. Ein besonderes Highlight ist jedoch eine Improvisation zum Abschluss, bei der er aus dem Stegreif einen Song erdenkt und damit für ausgiebiges Gelächter sorgt. Seine Wandelbarkeit kommt ihm hierbei zugute.

Als nach gut zweieinhalb Stunden die Zuschauer den Heimweg antreten, nehmen sie viel gute Laune und Gesprächsstoff mit in ihren Alltag. Für eine kurze Zeit gelingt es Thomas Borchert mit seiner am Ende von seinem Publikum doch sehr gebrauchten, ersehnten und ganz und gar nicht als „nicht systemrelevant“ zu bezeichnenden Kunst Freude, Licht und vor allem Zuversicht zu spenden.

Zu einem Besuch dieses fantastischen, kurzweiligen Programms kann nur jedem geraten werden, der eine kurze Auszeit dringend benötigt und dem die Zeit für einen langen erholsamen Urlaub fehlt. Auf seiner Facebookseite hält Graf von Borcula alle Interessierten auf dem Laufenden, wann und wo er mit nur einem Klavier, einem Vampirumhang und einem Paravent auf der Bühne steht.

 

#amonea #amoneamusicalworld #konzert #concert #thomasborchert #grafvonkrolock #vampir #dervampiramklavier #singersongwriter #schlossparktheater #berlin #musical #tanzdervampire #dracula

 

Weiterführende Links:

Thomas Borchert
Schlosspark Theater

Teilen via:

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert