„My Fair Lady“ in Magdeburg: Feelgood-Inszenierung mit Wermutstropfen

Fast genau 60 Jahre nach der Deutschsprachigen Erstaufführung von „My Fair Lady“ feierte Erik Petersens Inszenierung des Musicals am 13.November 2021 ihre Premiere am Theater Magdeburg. Und nach wie vor ist der Publikumserfolg dieses Klassikers ungebrochen, fast jeder kennt die populären Melodien wie „Es grünt so grün“, „Ich hätt getanzt heut Nacht“ oder „Hei, heute morgen mach ich Hochzeit“.

Anna Preckeler als Eliza Doolittle ©Nilz Böhme

„Dank“ der 2G-Regel ist das Magdeburger Opernhaus an diesem Premierenabend gut gefüllt, ca. 500 Zuschauer freuen sich ebenso wie Cast und Crew nach Monaten komplett ohne Theater oder mit nur sehr dezimierten Besucherzahlen auf einen besonderen Abend. Und sie alle werden nicht enttäuscht. Das Publikum bekommt eine opulente Wohlfühl-Inszenierung geboten, die die Sorgen und Probleme des Alltags für drei Stunden vergessen lassen und dafür wird das Team der Produktion, allen voran natürlich die Darsteller, mit minutenlangem Applaus und Standing Ovations belohnt.

Schon während die gut aufgelegte Magdeburgische Philharmonie unter der Leitung von Justus Tennie noch die Ouvertüre spielt, tauchen die Zuschauer ein ins London des frühen 20. Jahrhunderts. Die Bühne wird beherrscht von zwei riesigen metallenen Rundbögen, die in ihrem Industriedesign der typischen Architektur Londoner Markthallen, wie dem Borough Market oder dem Covent Garden Market, nachempfunden sind. Platziert auf der Drehbühne werden diese Bögen im Laufe des Stückes zu eben solch einem Markt, auf dem Eliza Dolittle ihre Blumen verkauft, aber auch zu Henry Higgins‘ Salon, zum Pub, zum Ballsaal oder zur Logentribüne beim berühmten Ascot-Pferderennen.

Anna Preckeler und Peter Diebschlag als Freddy ©Nilz Böhme

Wandelbar, aber immer mit einem ganz speziellen Charme, ist das Bühnenbild von Anja Lichtenegger ein wahrer Augenschmaus. Ebenso wie die Kostüme von Kristopher Kempf. Zeitgenössisch im Grundtenor, jedoch gespickt mit einzigartigen Details, von denen vor allem Elizas Ballkleid und die fantasievollen Hutkreationen der Chordamen während der Ascot-Szene im Gedächtnis bleiben.

Ganz so uneingeschränkt wie die Augen können die Ohren diesen Abend leider nicht genießen. Wie man es von den Musicalinszenierungen am Theater Magdeburg gewohnt ist, wurde auch in „My Fair Lady“ wieder spartenübergreifend gearbeitet. Neben Musicalgästen sind Musiktheater-Solisten, Opernchor und auch Schauspieler beteiligt. Mit Anna Preckeler hat Erik Petersen eine perfekte Eliza gefunden. Spielerisch und vor allem gesanglich gelingt ihr glaubwürdig die Wandlung vom schnoddrigen Blumenmädchen aus ärmlichen Verhältnissen hin zur selbstbewussten jungen Frau, die sich in keine Schubladen zwängen lassen, sondern ihren eigenen Weg finden und gehen will. Zu Beginn in nachlässiger Körperhaltung, unsicheren Bewegungen und mit verwaschenem Gesang, der nicht nur dem Berliner Akzent geschuldet ist, sondern genau so gewollt wirkt, ist Preckelers Eliza am Ende aufrecht im Gang, klar und kraftvoll in den Bewegungen und in der Stimme, die an so mancher Stelle sogar fast ins Jazzige rutscht.

Johannes Wollrab und Anna Preckeler ©Nilz Böhme

Bei den Herren ist es vor allem Johannes Wollrab, der in der Rolle des ständig betrunkenen Vaters Alfred P. Dolittle brilliert. Seine Auftritte reißen das Publikum zu frenetischem Szenenapplaus hin. Gemeinsam mit dem wunderbar aufgelegten Chor und vier Tänzern kreiert Wollrab schon zu Beginn des Stückes bei „Mit `nem kleenen Stückchen Glück“ den ersten Stimmungs-Höhepunkt des Abends. Der Chor (Leitung Martin Wagner) trägt, wie schon oft in der Vergangenheit, ein beträchtliches Stück zum Gelingen der Inszenierung bei. Erik Petersen versteht es auch dieses Mal wieder meisterlich, die individuellen und Ensemblestärken des Opernchores zu nutzen und herauszuarbeiten und hat auch größere Solorollen mit Mitgliedern des Chores besetzt. Besonders im Gedächtnis bleiben dabei Gabriele Stoppel-Bachmann als Higgins‘ Haushälterin Mrs. Pearce, Jeanett Neumeister als Elizas Stiefmutter in spé, Mrs. Hopkins und Peter Diebschlag in der Rolle des Freddy Eynsford-Hill. Seine Besetzung lässt langjährige Besucher des Theaters Magdeburg schmunzeln und ist sicherlich als Remineszenz des Regisseurs an seine eigene Magdeburger Theatervergangenheit zu verstehen, denn Diebschlag sang diese Rolle bereits 2009, damals in einer Inszenierung unter der Regie von Nico Rabenald.

Die beiden männlichen Hauptcharaktere – Henry Higgins und Oberst Pickering – werden von zwei Schauspielern verkörpert, die eigentlich nicht im Musical zuhause sind.

Marcus Kaloff (Oberst Pickering), Anna Preckeler und Tim Kramer (Prof. Higgins) ©Nilz Böhme

Bei zahlreichen vergangenen Inszenierungen hat sich gezeigt, dass dies kein Nachteil sein muss und wunderbar funktionieren kann. Dieses Mal jedoch liegt genau hier der einzige, jedoch recht große Kritikpunkt der Produktion. Marcus Kaloff (freiberuflicher Schauspieler und Gast) schlüpft in die Rolle des Oberst Pickering. In dieser sind vor allem schauspielerische Fähigkeiten gefragt und mit denen kann Kaloff, der auch bei „Guys & Dolls“ mit auf der Bühne stand, durchaus überzeugen. Die Gesangsparts der Rolle sind überschaubar, da lässt sich schon mal ein Auge zudrücken, wenn das „Sie sind’s, der’s geschafft hat“ an der einen oder anderen Stelle nicht ganz so perfekt ist.

Durchaus kritischer darf und muss man die Leistung von Tim Kramer als Prof. Henry Higgins sehen. Dass er durchaus ein guter Schauspieler ist, hat der scheidende Schauspieldirektor des Theaters Magdeburg bereits mehrfach bewiesen, zuletzt in der Titelrolle in Moliéres “Der Menschenfeind”. Was ihn jedoch dazu bewogen hat, die Rolle des Higgins zu übernehmen und warum er diese ohne jegliche Musicalerfahrung bekommen hat, erschließt sich nicht. Immerhin ist die Rolle des Professors eine der tragenden Säulen des Stücks, sowohl darstellerisch als auch gesanglich. In beidem kann Kramer leider nicht überzeugen. Vor allem gesanglich offenbart er eine Reihe von Schwächen, von der Textsicherheit über den Rhythmus bis hin zum Treffen der richtigen Töne. Ihm ist in dieser Premiere anzumerken, dass die Lieder eine große Herausforderung für ihn sind. Das wiederum wirkt sich auch auf sein Spiel aus

Tim Kramer als Prof. Higgins ©Nilz Böhme

und so fehlt es deutlich an Leichtigkeit und Souveränität. Kramer konnte sich die Rolle nicht zueigen machen, alles wirkt lediglich auswendig gelernt und damit aufgesetzt und er wirkt manchmal fast wie ein Fremdkörper im Bühnenensemble.

Das ist schade und trübt die positive „Feel good“-Wirkung dieser wirklich gelungenen und bis ins kleinste Detail liebevoll inszenierten Produktion ein wenig. Man darf gespannt sein, ob und mit welcher Besetzung „My Fair Lady“ in der kommenden Spielzeit wieder aufgenommen werden wird.

Cast & Creatives

Musikalische Leitung: Justus Tennie
Regie: Erik Petersen
Bühne: Anja Lichtenegger
Kostüme: Kristopher Kempf
Choreografie: Sabine Arthold
Dramaturgie: Hannes Föst
Choreinstudierung: Martin Wagner

Eliza Doolittle: Anna Preckeler
Professor Henry Higgins: Tim Kramer
Oberst Pickering: Marcus Kaloff
Alfred P. Doolittle: Johannes Wollrab
Freddy Eynsford-Hill: Peter Diebschlag
Mrs. Pearce: Gabriele Stoppel-Bachmann
Mrs. Eynsford-Hill: Ulrika Bäume
Mrs. Higgins: Ulrike Baumbach / Ks. Undine Dreißig
Vier Straßenjungen Jan Nicolas Bastel, Andrew Chadwick, Nils Klitsch, Rico Salathe

Opernchor des Theaters Magdeburg
Magdeburgische Philharmonie

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