Straight

Bedauernswerter Weise hat es Off-Theater im deutschsprachigen Raum schwer, Fuß zu fassen. Obwohl der Pool an Stücken riesig, beinahe unerschöpflich ist, scheint es doch immer noch eine Art unsichtbare Barriere zu geben, die potenzielle Produzenten davon abhält, einigen davon eine Chance zu geben und den Markt – über den oft sehr eingefahrenen sprichwörtlichen Tellerrand hinaus – zu erweitern. Dabei ist Off-Theater keineswegs gleichzusetzen mit Laienspiel, vielmehr handelt es sich um kleinere Stücke, die nicht für die ganz große Bühne konzipiert sind, wenngleich häufig namhafte und selbstverständlich ausgebildete Schauspieler sie spielen. In Amerika und auch Großbritannien hat man dieses Potenzial längst erkannt und gibt den Stücken den Raum, den sie verdienen – eben ein wenig abseits vom großen Trubel um die glänzenden und aufwändigen Produktionen am Westend oder Broadway. Mehr und mehr wagen derzeit jedoch auch Vereine in Deutschland und Österreich den Schritt in diese Richtung und holen mit viel Feingefühl Stücke vom Off-Broadway in die heimischen Gefilde. Dazu bedarf es Ideen, Manuskripte oder manchmal auch ein Quäntchen Glück, wie es im Fall von Straight eben passiert ist, als der junge David Paul mit einer Idee auf Produktionsleiter Thomas Neuwerth zugegangen ist und ihm das Stück, welches er selbst kurz zuvor am Off-Broadway gesehen hatte, empfahl. Auch Neuwerth, Kopf von Moving Stage Productions, war nur unschwer zu begeistern und zu überzeugen. David Paul übernahm die Rolle des „Chris“ und mit der Besetzung der einzigen beiden weiteren Rollen im Stück, nämlich „Ben“ (Lukas Müller) und „Emily“ (Viktoria Hillisch) war die Entscheidung für „Straight“ gefallen.

Das Autorenduo Drew Fornarola und Scott Elmegreen zeigt sich begeistert davon, ihr Stück in einer für sie neuen Sprache auf die Bühne gebracht zu bekommen, Fornarola wohnte sogar der Europäischen Erstaufführung in Wien bei.

Worum es in dem gut zwei Stunden reinen Sprechtext umfassenden Schauspiel geht, ist schnell erklärt. Ben mag Bier, Sport und Emily. Und Chris. – Damit wird das Stück untertitelt und das trifft es ziemlich genau auf den Punkt. Der 26-jährige Investmentbanker Ben ist seit seiner Schulzeit mit Emily zusammen. Obwohl sie einander sehr zugetan sind, ist aus seiner Sicht der Zeitpunkt für den nächsten Schritt noch nicht gekommen. Er lebt in seiner eigenen Wohnung und genießt seine Unabhängigkeit. Gern sitzt er stundenlang mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher und schaut Football oder verbringt ungezwungen Zeit mit seiner Freundin. Ihre Lebenspläne sind wesentlich strukturierter. Als Doktorandin in Harvard studiert sie Biochemie und bringt die Gedanken an ihre Forschungen auch gern mit nach Hause. Engagiert und ehrgeizig sieht sie sich als Absolventin mit sicherem Job, Haus und gemeinsamem Kind – ein Vierbeiner täte es für den Anfang auch – und vor allem als Ehefrau von Ben. Tatsächlich jedoch lebt sie mit einer Freundin in einer WG und schielt neidvoll auf andere Freunde, die ihre Lebensträume bereits erfüllt haben.

Über eine Online-Plattform lernt Ben den jungen Geschichtsstudenten Chris kennen und die beiden entdecken einige Gemeinsamkeiten, gegen die Ben sich zunächst sträubt, sich jedoch nach und nach darauf einlassen kann. Eine Affäre beginnt und das bisherige Leben des Workaholics gerät aus den Fugen. Er steckt in einem Zweispalt zwischen seinem eigentlich „vernünftigen“, geregelten und für viele normalen Leben und seinen bisher unbekannten Empfindungen dem anderen Mann gegenüber. Heiße Diskussionen mit Emily über das Richtig und Falsch von Homosexualität, ihren Wunsch bei ihm einzuziehen und die eigenen Lügen machen die Situation für ihn nicht besser. Die Affäre droht aufzufliegen, als Emily unverhofft seine Wohnung betritt und sich Chris gegenüber sieht. Die beiden verstehen sich hervorragend, doch Ben sieht das Konstrukt aus Halbwahrheiten, welches er aufgebaut hat, um sich selbst erst einmal klar zu werden, was er möchte, ins Wanken geraten. Wie wird er sich entscheiden, wie kann er die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen mit seinen kontroversen Gefühlswelten in Einklang bringen und ist dies überhaupt möglich oder muss er das wirklich? Wessen Träume sich am Ende erfüllen, ob es ein Happy End für diese Dreiecksbeziehung gibt und wer als Gewinner oder Verlierer daraus hervorgeht, kann am 26. und 27. April 2019 im Pfefferberg Theater in Berlin in Erfahrung gebracht werden.

Obwohl das Bühnenbild denkbar einfach ist, sich die gesamte Geschichte aus immer wechselnden Perspektiven lediglich in Bens Wohnzimmer abspielt, dessen zentraler Mittelpunkt ein großes rotes Sofa ist, fällt es nicht schwer zu folgen. Zu keiner Zeit wirkt das Geschehen langweilig, langatmig oder aufgesetzt. Dass die Chemie zwischen David Paul, Lukas Müller und Viktoria Hillisch stimmt, ist in jeder Szene deutlich zu spüren. „Straight“ ist ein Schauspiel, in dem es um Labeldenken geht. Klassische Schubladen werden geöffnet und ein jeder findet sich sicher ein wenig darin wieder. Sei es Emily, die als Frau in einer fast reinen Männerdomäne Fuß fassen möchte, das klassische Familienweltbild mit Haus, Hof und Nachwuchs, welches gezeichnet wird oder die gleichgeschlechtliche Beziehung zwischen Ben und Chris. Diese und viele mehr werden nicht nur mit Worten thematisiert, sondern auch ehrlich und offen auf die Bühne gebracht. Dabei fallen Worte, Phrasen, Vorurteile und nicht zuletzt auch ein ums andere Mal Hüllen.

Regisseur Robert G. Neumayr fasst die Misere des Stücks passend in Worte „Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wo man sich verliebt, brechen Herzen. Und wo es um Sexualität geht, sind Schubladen und Vorurteile nicht weit.“

Mit der #LivingALabel Kampagne erregte Moving Stage in Kooperation mit Open House Theatre bereits im Vorfeld Aufsehen. Mit Interviews, Videostatements und Konzerten suchten sie schon lange vor der Europäischen Erstaufführung den Dialog zu Künstlern, Politikern und Publikum und machten damit erfolgreich auf sich und ihr Projekt aufmerksam. Labeldenken ist niemandem fremd und man kann sich dem nie gänzlich entziehen. Das Ziel sollte nur sein, ein wenig Verständnis füreinander aufzubringen und den Menschen eine Chance zu geben, sich abseits ihrer „Schubladen“ zu etablieren.
Am Off-Broadway sorgte „Straight“ für Furore – nun erobert es mit Macht Europa und regt zum Nachdenken an. Es macht Spaß, ist mitreißend, einfühlsam, intensiv, polarisierend und erstaunlich offen, es sorgt gleichermaßen für Gesprächsstoff – so, und nicht anders sollte Theater sein.

 

Trailer: https://www.straight-berlin.de/
Fotos: (c) Alexander Plein/ Moving Stage Productions

 

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Weiterführende Informationen:

Open House Theatre
Straight – Europäische Erstaufführung 2019 – Wien Hamburg Berlin
Thomas F. Neuwerth, Kulturmanager
Robert G. Neumayr
Pfefferberg Theater

Interview mit Robert G. Neumayr und Thomas Neuwerth

 

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